Zwist um Grundsatzprogramm: Linke-Pragmatiker kritisieren Entwurf
Führende Linke-Politiker haben Bedenken gegen den Entwurf für ein Grundsatzprogramm der Partei. Das Kapitalismus-Bashing ist ihnen zu scharf.
Ulla Jelpke ist "positiv überrascht". Für ein Parteiprogramm sei der Text "locker formuliert", sagt die Strategin des linken Flügels der Linkspartei. Der Kapitalismus werde "klar charakterisiert", "die Allmacht des Kapitals" beschrieben und verurteilt. Besonders gut gefällt Jelpke, die der Antikapitalistischen Linken (AKL) angehört, die "Abrechnung mit der Sozialdemokratie", die "im Sozialbereich eine fast verbrecherische Politik" gemacht habe.
Über dem 25 Seiten starken Entwurf für ein Parteiprogramm hat eine 16-köpfige Kommission unter Federführung von Lothar Bisky und Oskar Lafontaine mehr als zweieinhalb Jahre gebrütet und um jede Formulierungen gekämpft. Ende 2011 soll das Grundsatzprogramm, das die Parteispitze am Wochenende vorstellte, von einem Parteitag oder per Urwahl verabschiedet werden. Jelpke empfiehlt ihren Genossen eine rasche Verabschiedung. Der Text dürfe nun nicht von den Flügeln "zerredet werden". Es stehe, sagte Jelpke der taz, "alles Wichtige drin".
Das euphorische Urteil der Parteilinken ist nicht verwunderlich. Offenkundig hat sich bei dem Kampf um Formulierungen die Parteilinke Sahra Wagenknecht durchgesetzt, die Handschrift von Ostintellektuellen wie Michael Brie ist eher undeutlich. Lediglich die Parole "Freiheit durch Sozialismus" haben die Parteilinken nicht durchgesetzt.
Kernpunkt des Programms ist eine scharfe Kritik des Kapitalismus, der die Demokratie bedrohe. "Strukturbestimmende Großbetriebe der Wirtschaft" sollen daher "in demokratische gesellschaftliche Eigentumsformen überführt" werden, heißt es in dem Entwurf. Privatbanken soll es künftig gar nicht mehr geben. Das neue Bankensystem soll aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und staatlichen Großbanken bestehen. Die Privatwirtschaft würde demnach auf kleine und mittlere Unternehmen schrumpfen. Weitere zentrale Forderungen sind "längerfristig" die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und eine Vermögenssteuer für Reiche von 5 Prozent jährlich. In den vergangenheitspolitischen Passagen werden der autoritäre "Sozialismusversuch" der DDR und die Zwangsvereinigung zur SED verurteilt, allerdings in recht milden Worten.
Konkrete Auswirkungen auf die Praxis der Linkspartei dürften die Ausschlusskriterien für Regierungsbeteiligungen haben. "Privatisierungen, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau", steht in dem Programmentwurf, soll es mit der Linkspartei nirgendwo geben. Nicht im Bund, nicht in den Ländern und nicht in den Kommunen.
Der Chef der Linkspartei in Thüringen, Bodo Ramelow, hält diese rote Linie für unbrauchbar. Personalabbau, sagte Ramelow der taz, dürfe kein K.o.-Kriterium für die linken Regierungsbeteiligungen sein. So sei beispielsweise in Thüringen dringend "eine Verwaltungsreform mit massiven Umstrukturierungen und Personalabbau per Verrentung nötig". Das Programm muss "da anders formuliert" werden. Auch die Passagen zum Bankenwesen hält Ramelow für überarbeitungsbedürftig. "Dass Zockerbanken, die Staatshilfe kassieren, verstaatlicht werden, ist richtig", sagte Ramelow. Aber gleich alle Privatbanken abzuschaffen, sei keine gute Idee.
Kritik entzündet sich nicht nur an konkreten Forderungen wie der generellen Abschaffung von Privatbanken, sondern vor allem an Ton und Themenauswahl des Programmentwurfs. Die Landwirtschaft kommt nur am Rande vor, die Energiewende wird knapp und sehr weit hinten abgehandelt. Die Probleme einer alternden Gesellschaft und die demografischen Umbrüche kommen schlicht gar nicht vor. Matthias Höhn, Chef der Linkspartei in Sachsen-Anhalt, zweifelt, ob das durchgängige Kapitalismus-Bashing "die Lebensrealität unserer Mitglieder" erfasst. Nicht nur Ostrealos wie Höhn halten die starre Fixierung auf Kapitalismuskritik und Arbeit für unangemessen. Ulrich Wilken, Landeschef in Hessen und im Flügelspektrum der Partei in der Mitte beheimatet, kritisiert, dass die Perspektive der Erwerbsarbeit zu dominant sei. Bei der Geschlechterpolitik drehe sich alles um Familien und Beruf. "Geschlechtergerechtigkeit jenseits von Arbeit wird völlig ausgeblendet", sagte Wilken der taz. Außerdem müsse man die Kriterien für Regierungsbeteiligungen klarer fassen. Klar sei, so der hessische Linksparteivorsitzende, dass "dieser Entwurf Ende 2011 so bestimmt nicht verabschiedet wird". Aus der Hoffnung der AKL, dass dieser Text ohne fundamentale Änderungen durchgewunken wird, wird wohl nichts. Manche in der Parteispitze zweifeln sogar, ob mit diesem einseitigen Entwurf der Zeitplan bis Ende 2011 überhaupt einzuhalten ist.
Am Samstagnachmittag stellten Lothar Bisky und Oskar Lafontaine den Entwurf im Berliner Karl-Liebknecht-Haus vor. Es war wohl einer der letzten Auftritte der beiden scheidenden Linksparteichefs. Lafontaine trug, weit eloquenter, als es dem Text gelingt, die Kernideen vor. Bisky formulierte in angenehm reflektiertem Ton "Randglossen" zu dem Text. So müsse man wahrnehmen, dass die Industriearbeit abnehme und die digitale Revolution auf dem Vormarsch sei. Die Linkspartei müsse sich für neue Arbeitsformen wie in Berlin-Friedrichshain interessieren, wo "prekäre Beschäftigung, viel Kreativität und Armutsrisiken" dicht verbunden seien. Da entstehen, sagte Bisky, "neue soziale Milieus."
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