piwik no script img

ZwischennutzungKunstkommune in der Kita

In Friedrichshain nutzen 32 Künstler eine verlassene Kindertagesstätte, um bis zum Frühjahr gemeinsam zu arbeiten. Das Temporäre ist Programm: 2008 wird der Plattenbau abgerissen.

Vier Jahre lang hatte der Plattenbau am Bersarinplatz ein trauriges Bild geboten: ein dreigeschossiger Betonklotz mit ungeputzten Fenstern, unkrautüberwuchert und ohne Elektrizität. Dann erfuhr der Fotograf Julian Ronnefeldt von dem Objekt in Friedrichshain. Klaus Pickardt, ein Bauunternehmer und Projektentwickler, hatte ihm erzählt, das Gebäude werde erst 2008 abgerissen. "Bis dahin könnt ihr das Haus umsonst nutzen", sicherte er dem Künstler zu.

Die Chance ließ sich Ronnefeldt nicht entgehen. Auf seine Initiative hin schlossen sich im Juni 32 Video-, Soundkünstler und Fotografen zusammen, die bis zum Frühjahr unter einem Dach arbeiten werden. Gemeinsam mit Musikern und bildenden Künstlern aus der ganzen Welt organisieren sie Vernissagen, Partys und Workshops.

"Gestern gab es in der Küche eine Session mit sieben Leuten", erzählt der 37-Jährige und geht vorbei an Raupen-Wandbildern aus Kita-Zeiten in eine Großküche im Keller. Der schmale dunkelhaarige Mann ist stets in Bewegung. Gestikuliert, erklärt, trommelt auf Bratpfannen ein, um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie hier am Vortag improvisiert wurde.

"Kita steht für "Kunstprojekt International Temporary Art", erklärt Suse Kipp, Malerin und Musiktheaterregisseurin. Sie war eine der Ersten, die ihr Atelier in der Kita einrichtete. Die Gewissheit, dass die in vielen Räumen frisch gestrichenen Platten demontiert werden, stört sie nicht. Temporary bedeutet "auf Zeit."

"Wir sind keine Hausbesetzer, sondern Zwischennutzer", stellt auch Ronnefeldt klar, der in diversen alten Fabriken und Schlachthöfen als Künstler gearbeitet und lange Zeit in England gelebt hat. "Das Vertrauen war von Anfang an da. Wir mussten Herrn Pickardt nicht versichern, dass wir kein Transparent 'Kita bleibt' aufhängen würden."

Der Bauunternehmer von der Juno Projekt GmbH sieht es ähnlich. Man kenne sich durch ein Off-Theater-Projekt am Gleisdreieck. "Ich möchte kreativen Leuten die Möglichkeit geben, ohne viel Geld Projekte machen zu können." Wirtschaftlich verspricht er sich nichts von der Zwischennutzung. "Eine Aufwertung der Straße durch die Künstler? Wäre schön, aber daran glaube ich nicht." Diese Seite der Frankfurter Allee gelte eher als verdreckt.

Auch in der Kita ist einiges zu tun, bis zum Abriss richtet sich die Gruppe provisorisch ein. Zurzeit werden Gasheizungen eingebaut - für den Winter. Das Haus sei ideal für ein solches Projekt, sagt Ronnefeldt. Das Gelände mit dem wilden Garten ist groß, man stört die Anwohner nicht. Die mehr als 30 Zimmer lassen Raum für Experimente.

"Wer mitmachen wollte, war dabei", sagt Julian Percy, ein Soundkünstler aus Australien. "Wir bewerten unsere Kunst nicht gegenseitig." Jeder geht seinen Projekten nach, ob die anderen diese gelungen finden, ist nebensächlich. So gibt es außer einer gemeinsamen Dokumentation keine Vorgaben, keine Klammer, die die Arbeit der Künstler zusammenhält. Ein gemeinsames Anliegen neben der günstigen Nutzung ist, alte Räumlichkeiten ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. "Vielleicht tragen wir damit für kurze Zeit indirekt zur Aufwertung der Straße bei", gibt Ronnefeldt zu. Auch der Begriff "Gentrification" kommt über seine Lippen. "Aber was solls? Wir haben eine coole Location und geben der Nachbarschaft etwas zurück."

Wenn das Gebäude plattenweise abgetragen wird und hier ein Ärztehaus und 40 Loftwohnungen aus dem Boden schießen, ziehen die Künstler weiter. Das Projekt, das von Beginn an sorgfältig fotografisch dokumentiert wurde, gilt dann als abgeschlossen. Am Ende wird ein neuer Anfang stehen, vielleicht in einer anderen Friedrichshainer Plattenbau-Kita. Es gibt im Bezirk noch weitere Gebäude desselben Bautyps. "Da könnten wir dann alles wieder genauso einrichten wie hier", so Ronnefeldt. Wo das Projekt Kita im nächsten Jahr wieder aufgelegt werden wird, verrät er nicht. "Der Ort bleibt ein Geheimnis, bis alles wirklich spruchreif ist." Bauunternehmer Pickardt wird mit von der Partie sein, so viel steht fest.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!