Zwischenlandung ohne Visum: Eidgenossen zocken Fluggäste ab
Besucher aus nicht EU-Staaten brauchen in Europa oft kein Visum. Fliegen sie über Zürich heim, erwartet sie eine böse Überraschung: Sie werden zu Bußgeldern verdonnert.
GENF taz | Schon seit 30 Jahren reist die deutsch-amerikanische Schriftstellerin Irene Dische mit ihrem US-Pass von ihrem Wohnsitz New York regelmäßig zu Lesereisen nach Deutschland, Frankreich, die Schweiz und in andere europäische Staaten. Bislang ohne Probleme.
Doch ihre Rückreise vergangene Woche mit der Schweizer Fluggesellschaft Swiss von Paris über Zürich nach New York geriet für die 61-Jährige zu einem hässlichen bürokratischen Albtraum mit zudem finanziellen Folgen. Nach über drei Monaten in Europa wurde Dische in Zürich im Transitbereich des Flughafens nach der Kontrolle ihres Passes von Flughafenpolizisten abgeführt.
Sie sei "acht Tage zu lang geblieben" und habe damit gegen das Schweizer Ausländergesetz verstoßen, wurde Dische von den Polizisten belehrt. Die Beamten kündigten ihr eine Geldbuße von bis zu 9.000 Franken, circa 8.100 Euro, an und drohten ihr für mindestens ein Jahr ein Einreiseverbots für ganz Europa an.
Dische wurde 2005 mit ihrem autobiografischen Roman "Großmama packt aus" bekannt, sie lebt auch von Lesereisen in Europa. Weil sie ihren Flug nach New York nicht verpassen wollte, unterschrieb die Schriftstellerin schließlich ein Dokument mit der Anerkennung ihres "Vergehens".
Erst dann wurde sie freigelassen und konnte ihren Flug noch in letzter Minute erreichen. Seitdem fühlt sich Dische von der Schweiz "als Schwerverbrecherin und Geldkuh" behandelt. Die US-Amerikanerin nahm sich einen Schweizer Anwalt und erzählte die Geschichte einem Journalisten.
Wegelagerer in Uniform
Damit wurde die "moderne Wegelagerei", wie es Dische-Anwalt Patrick Frey nennt, öffentlich bekannt. Seit über zwei Jahren zockt die Schweizer Polizei am Flughafen Zürich damit die Passagiere ab.
Ende Dezember 2008 war die Schweiz dem Schengenraum beigetreten, in dessen 28 Mitgliedsländern sich Ausländer aus zahlreichen nichteuropäischen Staaten bis zu 90 Tage lang visumsfrei aufhalten dürfen. Das erkennt die Schweiz auch an. Nicht aber, dass die meisten Schengenländer auch wesentlich längere Aufenthalte ohne Visum erlauben, darunter Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Österreich.
Sie unterhalten bilaterale Visabefreiungsabkommen mit den USA, Kanada, Brasilien, Australien, Japan, Singapur, Südkorea, Malaysia sowie mit den meisten Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens. Das wird von der Schweiz schlicht ignoriert. Fliegen BürgerInnen dieser Länder nach über 90-tägigem legalem Aufenthalt mit der Swiss über Zürich nach Hause, werden sie so behandelt wie Dische.
Im Jahr 2009 ließ die Flughafenpolizei 3.116 Personen zahlen, im letzten Jahr waren es bereits 3.504. Spitzenreiter unter den Opfern der Abzocke waren US-AmerikanerInnen vor BrasilianerInnen und BürgerInnen der Balkanstaaten. Die für den Flughafen Zürich zuständige Stadt Bülach nahm im Jahr 2010 auf diese Weise 1,7 Millionen Franken Bußgeld ein.
Nicht über Zürich fliegen
"Besonders ergiebig" sei die täglich Flugverbindung Zürich-São Paulo, freut sich der für die Eintreibung der Bußgelder verantwortliche Beamte Hanspeter Frei.
Eine Änderung der Schweizer Praxis ist nicht in Sicht. Stattdessen empfahl das Schweizer Bundesamt für Migration außereuropäischen Besuchern diese Woche, nicht mehr mit der Swiss über Zürich zu fliegen, sondern stattdessen mit der Lufthansa über Frankfurt, der Air France über Paris oder der Iberia über Madrid.
"Entrüstet" über diese Empfehlung ist der Direktor von Schweiz Tourismus, Mario Lütolf. Es sei "für die Tourismusdestination Schweiz peinlich, wenn sie Transitpassagiere, die alle potenzielle Schweizbesucher sind, auf der Heimreise unnötig in Verlegenheit bringt".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken