■ Kommentar: Zwischenlagerpolitik
Berlin braucht ein neues Zwischenlager für radioaktive Abfälle. Es ist einzusehen, daß die nuklearen Altlasten der Forschung und der medizinischen Einrichtungen der ehemaligen Hauptstadt der DDR nicht irgendwo herumstehen dürfen. Die Vereinigung Berlins und damit neue Zuständigkeiten Westberliner Einrichtungen waren nicht vorhersehbar – daß die Landessammelstelle mit Atommüllfässern „früher als erwartet“ vollgestellt ist, kann deshalb niemandem vorgeworfen werden. Und dennoch wird an dem Entsorgungsnotstand erneut deutlich, daß Politiker – wenn überhaupt – nur bis zum nächsten Zwischenlager denken wollen.
Auch sie bestreiten nicht, daß sowenig wie möglich Strahlenmüll anfallen sollte – nur kümmern sich die Verantwortlichen nicht um eine Verminderung. Würde in der Politik weiter als bis zum Bauplatz in Wannsee gedacht, hätte Berlin die von den Grünen geforderte Vermeidungsstrategie für radioaktive Abfälle längst. Kein Zufall, daß dieses Konzept fehlt. Welcher Umweltsenator will sich mit Wissenschaft und Wirtschaft anlegen, weil der Nutzen bestimmter Forschungsprojekte und Produkte höchst zweifelhaft ist, gleichzeitig aber die Umwelt belasten und die Bevölkerung bedrohen. Ob es nun um ein neues Zwischenlager, den Verkehr oder die Flüchtlingsströme aus den armen Teilen dieser Welt geht: selbst wenn kurzfristige Lösungen auf Dauer nichts bewirken oder auf lange Sicht kontraproduktiv sind, geben die Regierenden noch immer ihnen den Vorzug. Denn wenigstens für kurze Zeit entlastet eine neue Straße den Verkehr, können Gesetzesänderungen die Verlierer einer ungerecht aufgeteilten Welt von unserem Wohlstand fernhalten. Senatoren und Politiker sind kurzsichtig, weil sie auf Wählerstimmen schielen. Auf Dauer aber müssen Parteien und Politiker sich etwas überlegen. Denn desto weniger grenzüberschreitende und zeitlich nicht mehr zu überschauende Probleme gelöst werden, um so mehr stürzt unser politisches System in eine Krise. Und auch Politiker können sich nur solange wiederwählen lassen, so lange dieses System nicht weggefegt wird. Wer ein neues Zwischenlager bauen will, sollte weiter denken als um die Ecke. Er sollte gleichzeitig ein schlüssiges Konzept erarbeiten, wie der Tag für Tag produzierte Atommüll kaum noch oder besser: gar nicht mehr anfällt. Zwischenlagerpolitik hat ausgedient. Dirk Wildt
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