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Zwischenfazit Tour de FranceDer komplettierte Abfahrtshai

Fünf deutsche Etappensiege, zwei gestürzte Favoriten und Kopfsteinpflaster im Regen – die Zwischenbilanz nach zehn Tagen Tour de France.

Ein Blütentraum: das Peloton passiert auf der siebten Etappe ein nordfranzösisches Sonnenblumenfeld. Bild: ap

BESANCON taz | Christian Prudhomme verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen, als er am vorigen Mittwoch die im Wortsinne historische Etappe von Ypern nach Arenberg kommentierte. „Das war ein großer Tag mit dramatischen Kämpfen und viel Abwechslung. Man wird noch lange von ihm sprechen.“ Der Direktor der Tour de France fand nicht einmal etwas dabei, dass der Star seiner Veranstaltung, der Titelverteidiger Chris Froome, nach Stürzen ausgeschieden war. „Die Tour de France ist größer als ihre Fahrer. Jetzt gehört der Zukunft die Tour“, meinte er.

Die Gegenwart der Tour hatte manches einzuwenden gegen die Schlammschlacht, die auf dem Kopfsteinpflaster ausgetragen wurde, das auch beim Frühjahrsklassiker Paris–Roubaix befahren wird. „Für euch Journalisten und die Fernsehzuschauer waren es sicher prima Bilder. Aber die Organisatoren hätte ruhig über eine Neutralisierung des Kurses nachdenken können“, meinte etwa der sächsische Klassikerspezialist Marcus Burghardt gegenüber der taz.

Eine Neutralisierung hatte Christian Prudhomme aber niemals im Sinn. Dann hätte es ja auch keine historische Etappe gegeben. Und nicht die dramatischen Bilder von Froome, wie er mit gebrochenem Handgelenk ins Auto stieg. Ein ähnliches Schicksal traf fünf Tage später Alberto Contador. Bei einem Sturz auf der 10. Etappe brach er sich am Montag das Schienbein. Unglaublicherweise versuchte der Spanier für ein paar Minuten sogar noch weiterzuradeln.

So langsam gehen der Tour die Favoriten aus. Sprintstar Mark Cavendish ereilte der vorzeitige Ausstieg bereits am ersten Tag. Er ging im nordenglischen Harrogate, der Geburtsstadt seiner Mutter, zu Boden. Großbritanniens Premier David Cameron und Thronfolger William samt Familie sahen auf der Tribüne zu. Das englische Publikum vermochte sich da nicht so recht mit Prudhommes Diktum, die Tour sei größer als ihre Fahrer, anfreunden.

Attacken nach Schema F

Das dreifache Sturzpech machte den Weg frei für andere Protagonisten. Die deutschen Sprinter Marcel Kittel und André Greipel machten die Siege unter sich aus (3:1 für Kittel, der zudem eine Etappe im Gelben Trikot fuhr). Ein bemerkenswerter Soloritt von Tony Martin sorgte am Sonntag für den fünften deutschen Etappensieg innerhalb von nur neun Tagen. Zudem trugen Martin und Oldie Jens Voigt jeweils für einen Tag das Bergtrikot.

In Sachen Gesamtwertung ist Vincenzo Nibali der König. Die Souveränität, mit der der „Hai von Messina“ die Plüschlöwen des Sponsors für das Gelbe Trikot einsammelt, lässt vermuten, dass er sich bei seinem Beutezug auch von der Anwesenheit Froomes und Contadors nicht sonderlich hätte beeindrucken lassen. Schon auf der zweiten Etappe, vom Parcours her dem schweren Klassiker Lüttich–Bastogne–Lüttich vergleichbar, schnellte er aus dem Hauptfeld heraus und fuhr zu Etappensieg und Führungstrikot. Und auf dem noch schwereren – und durch Nässe fast unbeherrschbar gemachten – 5. Tagesabschnitt Ypern–Arenberg sah der kasachische Team-Astana-Express von Nibali so aus, als hätte er zehn Jahre lang Straflager auf Kopfsteinpflaster unter Nieselregen absolviert, während Contador zwei Minuten verlor und Froome die Tour beenden musste.

Sein bisheriges Meisterstück lieferte Vincenzo Nibali aber am Montag, dem französischen Nationalfeiertag, auf der ersten Bergetappe ab. Zur Planche des Belles Filles sauste er derartig aus dem Feld heraus wie zwei Jahre zuvor an gleicher Stelle Chris Froome. Oder eben auch wie der Alberto Contador der Jahre 2009 und 2010. Oder wie ein gewisser Michael Rasmussen 2007. Der Bergabattackierer Nibali hat sich in einen formidablen Bergaufangreifer verwandelt.

Und dafür gibt es immerhin eine offizielle Erklärung: Zwanzig Tage vor Tourstart ließ sich Nibalis Coach Paolo Slongo ein besonderes Trainingsprogramm einfallen: Er fuhr seinem Schützling nach fünf, sechs Stunden Training mit dem Motorrad voraus und simulierte die Attacken Froomes. Die erfolgen laut Slongo nach Schema F: „Sie dauern 20, maximal 25 Sekunden. Dabei werden etwa 550 Watt produziert.

Danach geht es auf ein geringeres Niveau herunter.“ Slongo hält das etwas abschätzig für „sehr vorhersehbar“. Auch Contador agiert laut Slongo ähnlich. Schema C unterscheide sich von Schema F nur dadurch, dass der Brite meist im Sattel sitzen bleibe, während der Spanier in den Wiegetritt verfalle. Nibali hat hinter Slongos Motorroller offenbar so gut trainiert, dass er nun selbst Schemata F und C im Programm hat.

Gern hätte man natürlich gesehen, ob das Double Nibali auch im realen Aufeinandertreffen den Originalen hätte beikommen können. Nach ihren Ausfällen muss der Zauberlehrling aus dem Hause Astana den Bergtanz alleine weiterführen. Nach dem Ruhetag am Dienstag rollen die Fahrer nun auf die Alpen zu. Am Freitag und Samstag stehen die nächsten Bergetappen an.

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