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„Zwischenfall“ im Gaza-Streifen

Israels Armee reagiert auf Molotowcocktails mit wahllosem Beschuß palästinensischer Zivilisten  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Israelische Grenzschützer erschossen am Mittwoch abend im Flüchtlingslager Rafah im israelisch besetzten Gaza-Streifen mindestens vier Palästinenser und verletzten eine unbekannte Anzahl. Während das israelische Militär keine Angaben zu den Opfern machen wollte, sprach man bei der UN-Flüchtlingsorganisation UNRWA von mindestens 50 Verletzten. Nach Informationen aus dem palästinensischen „Nassr“-Krankenhaus in Khan Yunis sollen sogar 70 Personen verletzt worden sein, davon fünf schwer.

Nach der Version des israelischen Militärsprechers kam es zu dem „Zwischenfall“, nachdem aus einem fahrenden Auto eine Handgranate gegen einen durch das Lager fahrenden Militärjeep geworfen worden war. Als die Israelis den Wagen verfolgten, sollen die Insassen den Militärjeep wiederum mit Molotwcocktails beworfen haben. Dabei hätten sich drei Palästinenser selbst verletzt, hieß es. Erst anschließend, so der Militärsprecher, hätten die Soldaten das Feuer eröffnet und zwei der Attentäter, Palästinenser im Alter von 17 und 22 Jahren, getötet.

Palästinensische Beobachter bezeichneten die Attentäter, die entkommen konnten, als Angehörige der Gruppe „Roter Adler“, die zur „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP) gehört. Nach den gleichen Angaben fuhr der israelische Jeep bei der Verfolgung des Wagens über den Marktplatz von Rafah. Dort hätten zu der Zeit viele Palästinenser Lebensmittel für das „Aid al- Fitr“, das islamische Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan, eingekauft. Als Palästinenser den Jeep mit Steinen bewarfen, hätten die Soldaten wahllos in die Menge geschossen. Noch Stunden nach den Schüssen wurden in den umliegenden Krankenhäusern Verletzte eingeliefert. Das israelische Militär verhängte über Rafah ein totales Ausgehverbot. Die Führung der PLO appellierte an US-Präsident Bush und seinen Außenminister Baker, dem „Gemetzel“ Einhalt zu gebieten.

Ebenfalls am Mittwoch erschossen israelische Soldaten einen Palästinenser und verwundeten zwei weitere in dem Dorf Tarkumie bei Hebron in der Westbank. Die Militärs eröffneten das Feuer, als Palästinenser ihr Auto mit Steinen bewarfen. Ein am 16. März in der Knesset verabschiedetes Gesetz erlaubt es Soldaten und Siedlern in den besetzten Gebieten, auf steinewerfende Palästinenser zu schießen. Die Tötung auch eines fliehenden Steinewerfers ist demnach nicht strafbar, da es sich um die „Verhinderung eines illegalen Angriffs“ handele.

Nach Angaben des israelischen Informationszentrums für Menschenrechte in den besetzten Gebieten „Bazelem“ haben sich die Verhältnisse für Palästinensische Gefangene im letzten Jahr weiter verschlechtert.

Professor Stanley Cohen, der im vergangenen Jahr einen Bericht zur Lage der Menschenrechte in den besetzten Gebieten verfaßte, erklärte am Mittwoch auf einer „Bazelem“- Pressekonferenz, Mißhandlungen im Verlauf von Verhören seien „zur normalen, beinahe selbstverständlichen Routine geworden“. Zu den Foltermethoden israelischer Sicherheitskräfte gehören demnach Schlafentzug, das Überstülpen eines Sackes über den Kopf des Gefangenen, das Einschließen in einen engen Kasten, der jede Bewegung unmöglich macht, das Verprügeln und das Verrenken von Körperteilen durch Fesselung oder Aufhängen des Inhaftierten.

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