piwik no script img

Zwischen den RillenFreude an der Verwandlung

Das Quartett Adult Jazz liefert ein facettenreiches Debütalbum, das Begeisterung für Experimente und Spielereien offenbart.

Adult Jazz kombiniert neu und spielt mit Erwartungen. Bild: James Pearson-Howes/Promo

Die Formel von durchschnittlichem Songwriting im Pop-Kontext des letzten Jahrzehnts könnte lauten: Zitate aus inspirierenden Quellen ausschneiden und neu kombiniert zusammenkleben. Die britische Band Adult Jazz zeigt mit ihrem Debütalbum „Gist Is“ nun, dass auf der Grundlage dieses Prinzips auch etwas wirklich Eigenes entstehen kann.

Vier Jahre lang hat das Quartett aus Leeds auf sein Debüt hin experimentiert, es schließlich im selbst gebauten Studio in Eigenregie aufgenommen und auf dem zu diesem Zwecke gegründeten Label Spare Thought nun auch selbst veröffentlicht.

Einen ganzen Haufen Zitate könnte man ihnen unterstellen. Ständig tauchen für einige Sekunden Assoziationen auf: Grizzly Bears Idee von Folk, Thom Yorkes Stimme, Pinbacks kreisende Melodien oder der schlichte Sound von Maps & Atlasses ohne jeden Effekt-Schnickschnack.

Als Ganzes ähnelt „Gist is“ nichts davon. Jedes Stück ist eine stetige Metamorphose, was an der Begeisterung der vier Musiker für Experimente und spontane Impulse liegen mag. Im Verlauf der Zeit seien sie von der Form abgewichen, erzählte Sänger Burgess dem britischen Onlinemagazin Paste. Sie hätten immer solche Musik am liebsten gemocht, die gleichzeitig etwas fordert und etwas zurückgibt.

Das Album

Adult Jazz: „Gist Is“ (Spare Thought/ Rough Trade)

Es ist ein Spiel mit Erwartungen: Ständig zeigen die Stücke neue Facetten scheinbar unendlicher Referenzen. In „Donne Tongue“ wird man aus einem funkigen, sommerlichen Schunkeln kurzerhand in eine verzerrte Wand sehr nachdrücklicher Gitarrenpatterns geworfen, nur um wenig später zierliches Flamencogitarrentrillern zu hören.

Mut zur Lücke

Der episodenhafte Charakter prägt selbst das eingängigere Stück „Springful“, das aus einem reduziert instrumentierten Blues in eine Folkballade und schließlich in elektronische Spielereien fällt. Das Album ist ein wuseliges Puzzle geworden, dessen Einzelteile Details durchaus bekannter Objekte abbilden. Anstatt die Songs aber zu dem üblichen zweidimensionalen Bild zusammenzudrücken, haben Adult Jazz Lücken gelassen, an anderer Stelle manches überlappt und verkantet. Ständig glaubt man, ein bestimmtes Bild zu sehen, und muss wiederholt feststellen, dass man sich irrt. Und das ist toll.

Viel von dem, was „Gist Is“ so besonders macht, liegt in der Struktur. Dabei wirkt der Sound an keiner Stelle verkopft oder konstruiert. Stattdessen lebt die Musik von Adult Jazz von einer Leichtigkeit, die angesichts von rhythmischer und harmonischen Komplexität und einer allgemeinen Verschrobenheit erstaunlich ist. Mathematisch-analytisch könnte man sich sicher den Kopf über die gegenläufigen, versetzten und bisweilen völlig freejazzigen Elemente zerbrechen, wenn man wollte. Oder darüber, wie es der Band gelingt, mit derart vielen Brüchen und ohne jeden kontinuierlichen Puls einen stetigen Fluss zu erzeugen und damit zu fesseln.

Die elegische Hymne „Hum“ braucht mehr als drei Minuten, bis überhaupt das Schlagzeug einsetzt. Man hört Harry Burgess’ warme, helle Stimme über einem düsteren schwebenden Ton. Ob mit oder ohne Autotune, kaum ein Sänger kann so schön und ansatzlos ins Falsett kippen. Bevor man sich aber darin fallen lassen kann, stürzt seine Stimme in fremdartige, synthetische Tiefen.

Davon abgelenkt merkt man kaum, wie sich diverse Blechbläser und eine Posaune beiläufig einreihen. Das schließlich einsetzende Schlagzeug ist wirklich kein Strukturgeber im Sinne rechtwinkliger Muster, sondern es tritt eher als ein gleichberechtigtes Instrument auf, mit der selben Verwandlungsfreude wie alles andere. Nirgendwo auf „Gist Is“ findet sich die Schmiere aus gleichmäßigem Viervierteltakt und einlullenden Flächen, auf der man so oft widerstandslos durch zeitgenössische Popmusik rutscht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!