Zwischen den Rillen: Never mind the Beelzebuben
■ Survivaltraining in Rock: Metallica machen einfach weiter, Bob Mould verweigert sich
Die letzte Studioplatte von Metallica erschien vor fünf Jahren. Das sogenannte „Black Album“ verkaufte sich seitdem vierzehnmillionenmal. Aber Metallica waren nie eine Band, die sich nur mit dem Erreichten begnügte. Zuerst stand man an der Wiege des Thrash-Metal, dann ging man einen zwar einsamen, aber sehr erfolgreichen Weg, der Jazzstrukturen mit Metalklängen fusionierte und, vor allem: dem Genre plötzlich eine intelligente Reputation verschaffte. Dann kam jenes schwarze Album, und die Pioniere ernteten höchstpersönlich die aufgegangene Saat ab. Der Mainstream war erobert, aber was nun?
Zum einen benimmt man sich ganz den Superstarkategorien angemessen und trennt sich erst mal für zwei Jahre, um pünktlich zum 15jährigen Jubiläum die sechste Platte „Load“ herauszubringen. Zum anderen versucht man der alten Linie treu zu bleiben und Erwartungen zu enttäuschen. So haben sich alle vier die langen Zotteln abgeschnitten. „Es war sehr befreiend“, weiß Trommler und Sprachrohr Lars Ulrich zu erzählen, „viel einfacher zu handhaben.“ Wenn doch alles nur so einfach wäre wie ein neuer Haarschnitt. Metallicas Platten waren deshalb immer so grandios, weil sie keine typischen Metalplatten waren – und so das taten, was man gerne „Maßstäbe setzen“ nennt, nur daß es in ihrem Fall nicht einmal übertrieben war. „Load“ aber, und das ist das Problem, ist eine typische Metalplatte, auch wenn der Hauptgrund darin liegt, daß eben Metallica selbst die Maßstäbe für eine solche Platte gesetzt haben.
Auf „Load“ gibt es viele Versuche, das Terrain zu sichern, und ebenso viele, mit Pedal Steel Gitarren und ähnlichem neuen Boden hinzuzugewinnen. Nichts davon funktioniert so recht. In ihrer erfolgreichsten Phase zeichnete sich ein Metallica-Song im besten Falle durch eine nie zuvor gehörte Klarheit bei gleichzeitig hohem Raffinessefaktor aus. Gründe dafür waren der Verzicht auf üblichen Metalschnickschnack wie Intros mit akustischen Gitarren, eunuchigen Leadgesang oder Soli, die nur zu verknoteten Fingern führten. Es war breit, schwer, beruhigend und wunderschön. Und prinzipiell finden sich auf der neuen Platte die Grundlagen davon, wie in „King Nothing“, das dann allerdings gleich überdeutlich an das fünf Jahre alte „Enter Sandman“ erinnert. Manches ist ebenso schlicht wie gewaltig, zum Beispiel „Wasting My Hate“, aber prinzipiell ist „Load“ dem Superstarproblem erlegen: Zuviel Zeit im Studio, zuviel Gefummel, und das hat Metal noch nie gut getan.
Die alte Magie ist weg. Die Magie, die einen bei jeder neuen Metallica-Platte spüren ließ, daß hier Neues versucht wird – mit der gleichzeitigen Gewißheit, daß es auch noch funktioniert. Bleibt die Frage, ob es auf dem Planeten Metal noch unentdeckte Erdteile zu finden gibt. Falls das so sein sollte, wären Metallica eigentlich die Kandidaten gewesen, sie aufzuspüren. Ganz sicherlich aber gibt es noch die eine oder andere Goldader auszubeuten. Nicht unwahrscheinlich, daß Metallica mit „Load“ auf eine sehr ergiebige gestoßen sind. Die zweite und letzte Platte von Sugar erschien 1993, das Trio war auf dem Weg, endlich abzusahnen, was Bob Mould mit Hüsker Dü selbst angesetzt hatte. Nach einer erfolgreichen Tournee Ende 1994 löste sich die Band auf. Und was nun?
Bob Mould war nie glücklich mit seinem nicht mal überwältigenden Erfolg im Musikgeschäft und den unvermeidlichen Folgen – einer der Gründe dafür, daß Hüsker Dü auseinanderging, und der Hauptgrund, daß er Sugar ein Ende setzte. Eine Goldader wäre so ziemlich das allerletzte, worauf Bob Mould nun stoßen möchte. Der Mann versucht den Teufel aus seinem Leben auszutreiben. Begleitend zur ersten, schlicht „Bob Mould“ betitelten Soloplatte nach Sugar gab es ursprünglich nur einen Text „Bob Mould über Bob Mould“, in dem er seine allgemeine Abscheu vor dem Geschäft erklärte und verkündete, daß es keine Konzerte, keine Interviews, absolut keine Promotionaktivitäten geben würde. Zwar ist Mould seitdem im Vorprogramm von Pete Townshend aufgetreten, als ihn dieser, eines seiner großen Kindheitsidole, persönlich darum bat, und es gab auch ein Interview, aber die Geste bleibt bestehen.
Musikalisch holt Mould nun die Strategie nach, die Trommler Grant Hart direkt nach dem Splitt von Hüsker Dü anwendete, um die Beelzebuben loszuwerden. Jeden Ton selbst einspielen, selbst produzieren, eine Platte, auf der nicht umsonst steht: „Bob Mould is Bob Mould“. Doch während man auf Harts „Intolerance“ die reinigende Euphorie fast anfassen konnte, findet Mould nur schwer überhaupt die Balance zwischen der bekannten Selbstzerfleischung und seinem in den letzten Jahren eher abhanden gekommenen Humor. Da sind seine bekannten Klagelieder, da sind die Gitarrenwände, die man kennt, auch wenn sie hier eher regnerisch englisch dahergeschrammelt kommen. Sehr selten geht er sogar die rhythmisch verschlungenen, halbakustischen Pfade seiner ersten Post-Hüsker- Dü-Platte „Workbook“.
Es ist ein verzweifelter Versuch, das eigene Leben zu ordnen, wieder in den Griff zu bekommen. Die Therapie zu unterstützen, die er begonnen hat, als er nicht mehr weiterwußte. Was man weiß, weil er es erzählt hat. Was man aber auch hören kann. Oder lesen in den Texten. Gleich im ersten Song heißt es: „Sick of being someone else, I'm sick of myself, sick of everything I am.“ „Next Time That You Leave“ ist der bitterböseste Trennungssong, den ich je gehört habe, „Roll Over And Die“, die ebenso knappe wie furchterregende Beschreibung einer Beziehung in den letzten Zügen.
Dann gibt es aber da noch den zweiten Song, der heißt „I Hate Alternative Rock“, und natürlich stürzt sich alles darauf. Und natürlich klingt er genauso, wie Mould mit Hüsker Dü „alternative rock“ selbst mitdefiniert hat. Aber dieses Lied ist ein Scherz. Ein Scherz, mit dem Mould Abstand gewinnen will. „The Twentieth Century has not been particularly kind to me“, heißt es dort. Ein Satz wie von Monty Python, trockene Untertreibung im Größenwahn. Es scheint, als wäre der alte Herr auf dem richtigen Weg, seinen Frieden wiederzufinden. Thomas Winkler
Metallica: „Load“ (Mercury)
Bob Mould: „Bob Mould“ (Sony)
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