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Zwischen den RillenDas Silvesterprinzip

■ Glücksversprechen eines potentiellen Quäkers: Moby als Pop-Prophet

Im Booklet seiner vorletzten CD ist ein befremdliches Foto abgebildet. Moby steht allein auf einer Bühne unter freiem Himmel, wie üblich mit rasiertem Schädel und nacktem Oberkörper. Man sieht ihn von hinten, die Kamera nimmt seinen Blick aufs Publikum da unten ein. Schmächtig, einsam und verletzlich steht er da, wie ein Prophet bei der Bergpredigt, hält den Kopf schräg und scheint auf etwas zu warten.

Bei allen CDs, auch bei der neuen, verzichtet Moby auf den Abdruck seiner Songtexte und nutzt das gewonnene Papier, um seine sogenannten Essays loszuwerden, Plädoyers für ein nächstenliebendes, fleischfreies Dasein, Schimpftiraden auf die Verlogenheit der Kirche und das anachronistische Sicherheitsbedürfnis der Wertkonservativen. „Die Welt könnte ein paar echte Christen gebrauchen“, schreibt er da, und: „Es ist hart, human zu sein.“

„Die Magie zu brechen und Rationalisierung der Lebensführung durchzusetzen, hat es zu allen Zeiten nur ein Mittel gegeben: große Prophetien“, hat Max Weber einmal geschrieben. Moby ist nichts anderes als ein solcher Popstar-Prophet. Nicht nur in seinen Essays predigt er in übereifriger Mission: mehr Spiritualität, Flexibilität, Fortschritt durch Neugier. In Interviews spricht er gern vom Spaß daran, einmal eroberte Lebensarten immer wieder zu verlassen, vom lebenslangen Lernen und vom Zweifel als Überlebensstrategie im allumfassenden Wirtschaftsliberalismus. Ich weiß, daß ich nichts weiß. Verwirrung stiften, für Irritation sorgen, sich permanent neu ausdenken. Bis selbst die härtesten Verfechter des Verzichts auf Autorschaft in der Musik von Substanzverlust schreiben, den diskurserprobtesten Musikzeitschriften die Ideen ausgehen und statt Plattenkritiken Kartoffel-Fenchel-Cremesuppen-Kochrezepte von Moby abdrucken. „Mit einer Robin-Hood-Steuerpraxis kommt man in einer Zeit globalisierter Märkte nicht weit“, konnte man ihn in einem Interview in der De:Bug sagen lesen, und „Inzwischen bin ich überzeugter Kapitalist“. Und das aus dem Munde Mobys, Moby Dicks, des Wals, des Robbenbabys, Naturschützers, des Veganers ohne Führerschein? Wie geht das zusammen? Wir dachten, Moby sei Punk?

Moby, der hätte Quäker werden können. Wie er sich weigert, vor weltlichen Autoritäten den Hut zu ziehen! Dessen Engagement funktioniert, weil es nicht institutionalisiert ist. Dessen Glaube an biblische Gerechtigkeit gegen den an ökonomische Gerechtigkeit eingetauscht ist, als sei er in den Fußstapfen des Quäkers Herbert Clark Hoovers. Doch steht da auch im Booklet: „These essays are not really related to the music, so if you hate the essays you might still like the music.“ Ätsch, reingefallen? Zu hoch gegriffen? War nur Spiel und Spaß! In die Falle für überforderte Musikjournalisten gegangen! Auch ohne all diesen Textsumpf kann Mobys Musik in ihrer ganzen Verschiedenheit, ihrem barocken Bezugssystem als eine Suche nach dem Absoluten, als eine große, trotz aller Vielfalt sehr einheitlichen Hymne an das Arbeitsethos des amerikanischen Puritanismus gehört werden. Sein letztes, ziemlich ungenießbares Album zitierte noch die grimmigsten und hitzköpfigsten Varianten von Hardcore, Speed und Trash Metal à la Ministry herbei, sein vorletztes Techno-Album vergnügte sich vor allem mit sehnsüchtig treibendem und raschem Dumpfbacken-Rave, wie es Westbam nicht netter hätte machen können. Für sein neues Album „Play“ mußte nun der Blues dran glauben.

In den auffälligsten und faszinierendsten Songs von „Play“ sampelt er den Gospel, die religiöse Ekstase und Vitalität, strafft sie technisch, maschinell und rhythmisiert sie. Die Zwiesprache mit Gott, das Frage-Antwort-Spiel zwischen Vorsänger und Chor, wird zum Selbstgespräch des Einzelgängers. Dazu paßt, daß Moby alle Instrumente selbst spielt.

Egal, ob Techno, Metal, Blues, bei Moby geht es um das Silvesterprinzip: Laßt uns die Gespenster verscheuchen. Wichtiger als die Erinnerung ist die Technik: Bei Moby werden die Samples wie Bausteine aneinandergereiht, durch stetiges Arbeitstempo monoton geloopt und beschleunigt. Seine Songs leben vom fleißig geklonten Sahnehäubchen, dieser einen kleinen Melodie, die im ursprünglichen Song geschickt umgarnt und dramaturgisch eingeleitet und wieder verabschiedet wird. Seine Musik ist spirituelle Energie, der Adrenalinschub ohne Drogen, der Koksersatz. Und dabei bietet „Play“ immerhin mehr Glücksversprechen als seine Vorgänger, richtig schöne, sonnige Momente, versöhnlich, tröstlich weil traurig, berührend. Es gibt groovige Gesten, Swing und Melancholie, Downbeat, und, wie die Plattenfirma meint, „B-Boy-Deltablues-HipHop“. Trotzdem – einfach depressiv wie sein Vorbild Ian Curtis könnte Moby nie klingen. Höchstens brutal romantisch.

Es heißt immer, Moby habe dem Techno ein Gesicht gegeben. Aber dieses Gesicht ist seltsam nichtssagend, blaß und leer für einen Popstar. Man kann es sich kaum merken. Es spricht von Askese, der Reinheit in der Lebenshaltung, von Offenheit und Empfänglichkeit. Es sagt: Das Glück liegt auf der Straße, man muß es nur erkennen, mit beiden Händen danach greifen. Sei fleißig und sparsam, dann wirst du reich. Dazu braucht es keine Identität, keine Authentizität. Nur das innere Licht. Dann klappt es auch mit dem Sendungsbewußtsein.

Susanne Messmer

Moby: „Play“ (Mute Rec.)

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