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Zwischen den RillenTanzen wir uns frei

■ Urbane Desorientierung: Die Sterne und Merricks wenden Trauer in Groove

Im Video zu ihrer aktuellen Single „Big in Berlin“ geben die Sterne Cowboys, die in die Hauptstadt einreiten. Auf einem gefleckten Pony sitzt der viel zu lange Frank Spilker, seine besporten Westernstiefel schleifen fast auf der Erde. Irgendwer hat ihn in einen hellblau glänzenden Faschingsanzug gesteckt und ihm eine alberne Lichterkette umgehängt, und er reitet von einer Berliner Sehenswürdigkeit zur nächsten. Man weiß nicht genau: Sieht das alles absichtlich so deplaziert aus?

Dazu tönt es zuckersüß: „Wir wissen nicht mehr, wo wir sind, und steigen lieber aus.“ In diesem Radioformat-Hit, dem langweiligsten auf der neuen Platte, geht es schlicht um Desorientierung in der Großstadt und nicht um Berlin im besonderen. Es ist der zähe Zustand der Ratlosigkeit, die einen anfällt, obwohl man doch so guten Mutes aufgebrochen war. „Wo ist hier“ heißt das neue Album der Sterne, das auf das Sesamstraßenrätsel anspielt: Man ist immer hier, denn auch wenn man nach da rennt, kommt man nie da an, weil sich jedes Da in ein Hier verwandelt. Auf-der-Stelle-Treten, das ist das entscheidende Motiv der neuen Platte der Sterne, und es ist auch diese Grundstimmung, die sie von den früheren Alben unterscheidet: melancholischer, fauler, antriebsloser, sogar larmoyanter, resignierter.

Als wären die Sterne plötzlich aufgewacht und fragten sich: Sind wir immer noch im guten alten Hier? Und wo ist das Da, in dem sich das Hier befindet, wo wir hin wollten? Was hat es uns gebracht, drei Schritte vor, zwei zurück zu gehen oder andersherum? Der vielgelobte Groove der Sterne, Disco, aber auch die Anspannung bis zur Verkrampfung, der hektische, fleißige Funk, die Rhythmuswechsel, von denen heute spöttisch und wie rückblickend die Songtexte handeln: „Ich variiere meinen Rhythmus“; dazu die Befürchtung, daß „alles besser ist als stehenbleiben“ – aber auch die Wut, daß die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte; der Wille, die Menschen wachzurütteln, all das ist stoischer geworden, aber damit auch irritierender.

Und trotzdem: „Es ist nicht resigniert, wenn man irgendwann nicht weiterweiß“, meint Frank Spilker, „auch wenn man nichts mehr erwartet, muß man irgendwo hinkommen.“ Obwohl sie in ihrer westfälischen Blasiertheit immer weniger zur Identifikation einladen, immer ernstmieniger und hohlwangiger werden, wandeln sie immer größere Trauer erfolgreich in immer treibenderen Groove um. Das beweisen nach wie vor ihre Konzerte. Das hüpfende Publikum ist einverstanden, teilt die Sterne gern mit den anderen, und das ist gut so.

Auch die Merricks sind schon mit ihrem letzten Album „The Sound Of Munich“ in ihrem München angekommen. Aber dieses München hat mit dem München da, das einem hier erzählt wurde, auch wenig zu tun. Die Auffassung der Elektroniker Merricks vom Hier ist ähnlich seltsam wie die der Sterne.

Bei ihrem letzten Album ging es den Merricks noch um die Rekonstruktion des Spaßfaktors von Munich-Disco, Georgio Moroder, um den Sound von supersexy Schwabing-Girls, den Spirit von Amanda Lear, Donna Summer und Boney M. und um John Travoltas Hoffnung auf die Befreiung vom Büro in einer kurzen, aber glamourösen Nacht. In der Disco die Demokratie des „Jeder ist ein Star“ und den herrschaftsfreien Diskurs qua Diskurslosigkeit entdecken, das war die Triebfeder einer Generation, die schon so alt war, daß ihnen Techno immer etwas fremd geblieben ist. Hier teilten die Merricks ein und denselben sehnsüchtigen Forschergeist mit FSK, DJ Hell und Rainald Goetz. „Wer es nicht im Kopf hat, muß es in den Beinen haben“, heißt auf dem neuen Album „Escape From Planet Munich“: eine vorsichtige und zögerliche Aneignung ungebrochener Körperlichkeit auf der Tanzfläche, eine politische und poetische FSK-Coverversion von „Move Ahead“ – and your ass will follow.

Ein anderes Stück unter den vielen mitreißend groovigen Instrumentalstücken der Merricks ist mit romantischen Vocoder-Stimmen „Let's Get Stupid“: Es macht Dummheit undumm, ähnlich wie der angenehm stumpfe Andreas Dorau. Daß die Jugend sofort ihre Arbeit niederlegen sollte, erfahren wir außerdem.

Vor allem aber wird die Flucht der Merricks vom Planeten München wie bei den Sternen durch eine sich fast entziehende und heimliche Traurigkeit bestimmt. Die Disco-Befreiung hat nicht geklappt. Trotzdem tanzen wir uns frei. Wir sitzen immer noch hier fest, in unseren eigenen kleinen Körpern. Es ist „Die Regenzeit“ nach der großen Hitze, Wasserplätschern fast sieben Minuten lang. Dazu gibt es elektronisch stilisierte, schwelgende Mundharmonika aus anachronistischen amerikanischen Vorabendserien wie „Unsere kleine Farm“ und die unangestrengte und in sich verlorene Stimme von Marion Dimbath: „Wie lange noch bleibt das Insekt im Versteck? Du allein kannst dich schon freuen, wenn es beginnt. Der Regen fällt und fällt und fällt auf jedes Blau, auf jedes Grün.“ Wahrscheinlich hätte jeder einzelne der Merricks eine genauso schlechte, verunsicherte und doch sophisticated charmante Figur auf einem Pony gemacht wie Frank Spilker von den Sternen. Mit dem Unterschied, daß es ein maschinelles gewesen wäre. Frei nach Robert Redfords elektrischem Reiter. Susanne Messmer ‚/B‘Die Sterne: „Wo ist hier“ (L'Age d'Or/Sony) Merricks: „Escape From Planet Munich“ (Sub Up/EFA)

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