Zwischen den Rillen: Chicks On Speed und Erase Errata
Der Theorierap der Bewegung
Sie hat es getan, weil es um ihre Persönlichkeit ging. Angesichts eines geschlechterfixierten Musikbetriebs, so die kanadische Sängerin Peaches neulich im O-Ton, „übernehme ich die Produktion sexueller Images lieber selbst“. Rock-’n’-Roll-Dildo, Schamhaarmonster und feministisches Spaßmodell sein: Mit dieser Einstellung ist Peaches den Berliner Chicks On Speed mindestens herzens-, wenn nicht bluts-, ach was, seelenverwandt. „Tu es selbst, bevor es die anderen mit dir tun!“, hat sich das All-Woman-Trio in Sachen Imagepflege und Kommerz für ihre CD „99 Cents“ aufs Banner geschrieben, das aussieht wie eine Hauswurfsendung von Penny. Dort gehört die Produktion aus der Popmaschine ja auch hin, auf die Wühltische des Alltags.
Was bei Peaches auf die Inszenierung eines überdimensionalen Künstler-Ichs hinausläuft, ist bei Chicks On Speed wohl durchdachte Unternehmenskultur. Platten machen, Label betreiben, Fashion verkaufen, Fotostrecken für Glossy Magazines entwerfen – und über allem prangt das Logo von COS als Etikett für das Do-it-yourself-Patchwork des Punk. Aus dem Bündel an Off-Aktivitäten ist eine Marke geworden, die beim Spagat zwischen Massenrave und Clubkontext, Modeshooting und Verweigerungshappening immer schön locker bleibt. Chicks On Speed sind das Mutterschiff für eine linkskritische Szene, die sich einen Rest von Fun in den Ödnissen der Arbeit an der Subkultur erhalten möchte: wenn schon Selbstausbeutung, dann mit der Wucht zeitgemäßer Lumpenboheme.
So versammelt „99 Cents“ ziemlich jeden Theorierap der Bewegung, von neuen Subjekten bis DAT-Politics. Chicks On Speed wollen Aasgeier der Kulturindustrie sein, sie wollen selbst mit ihrem Bekenntnis zu Billigschick und „Fashion Rules“ noch kenntlich machen, dass jede Mode auch nur glitzert, weil unterbezahlte Frauen in Billiglohnländern im Akkord nähen müssen. Natürlich sind diese Verhältnisse längst bekannt und beklagt, also gilt es für Chicks On Speed jetzt umso mehr, Naomi Klein zum Tanzen zu bringen. Notfalls mit „Senior Executives“ und Jeff Koons als Partner, die sich in ihrem Song „Shooting from the Hip“ irgendwo im Gewühl aus Cosmopolitan, Warenwelt und Künstlerexistenz verirrt haben.
Doch auf Dauer können Chicks On Speed nicht gut beide Seiten der Barrikade bedienen. Dann ist ihr Angebot kein Potpourri des augenzwinkernden Nichteinverstandenseins, sondern gut kalkulierte Produktpalette frisch von der Antiglobalisierungstheke. Wenn sie sich für ihre Homepage von Karl Lagerfeld fotografieren lassen, kommt in dieser Zurschaustellung nicht rebellische Vereinnahmung, sondern der Haute-Couture-Betrieb zu seinem Recht, dem es letztlich egal ist, was für Absichten die drei Frauen haben, wenn sie Overalls mit „No Sweat“ bedrucken, solange der Designer Jeremy Scott die Klamotten in Beverly Hills an Britney Spears verhökert. Auch das ist „Culture Vulture“: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin zu Ruhm.
Noch relativ weit von solchen Widersprüchen entfernt sind Erase Errata. Das Dance-Punk-Quartett aus San Francisco kann mit einigem Gleichmut auf den nicht enden wollenden Hype um die Geräusche der Achtziger blicken: Die beißen nicht, die wollen bloß spielen. Ähnlich wie vor langer Zeit bei Frauenbands vom Schlage der Raincoats, ESG oder Slits ist hier der künstlerische Ansatz kein Weltaufstandsplan, sondern das gemeinsame Learning by Doing im Probenraum. Dieser Bodenständigkeit folgend, hat die Gruppe allerlei Liebhabersingles in 500er-Auflage und 2001 ihr CD-Debüt „Other Animals“ veröffentlicht. Gerne mit selbst geklebtem Cover, schon wegen der hübschen Collagen. Dass „At Crystal Palace“ jetzt bei Mute erscheint, wird von ihnen als Erfolg verbucht, ändert aber wenig an der Low-Budget-Routine aus CD-Ständen bei den Konzerten und dem Internetversand. Sell-out? Wäre nicht schlecht fürs Geschäft, würde aber kaum Einfluss auf das musikalische Konzept haben.
Hier wird am Augenblick gestrickt, der Message des Umherschweifens genügt die frei improvisierte Form, mit der sich ein Wust aus Cut-up-Texten transportieren lässt: Kantiger Funk, atonale Discomärsche, konzentriertes Gitarrengeschreddere, dazu bläst eine Trompete, was der Free Jazz von einst im No-Wave-Return hergibt. Man ahnt die Ablehnung, doch Erase Errata liefern dafür keine Erklärungen, nur ungeschliffene Gesten. Offenbar liegt in der Sperrigkeit einige Faszination, die momentan für volle Hallen sorgt und sich trotzdem schwerlich kommerziell abgreifen lassen dürfte. Das hat schon vor 20 Jahren nicht geklappt, statt Gang of Four gab’s Modern Talking. HARALD FRICKE
Chicks On Speed: „99 Cents“ (COS Records/Labels); Erase Errata: „At Crystal Palace“ (Blast First/Mute)
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