Zwischen den Rillen: Vergiftet am Rand der Geschichte
■ Weißer politischer Underground auf Platte: Nation of Ulysses und Alice Donut
Wenn man seiner Firmen-Philosophie glauben darf, müßten Nation of Ulysses gute Freunde des Washingtoner Labels „Dischord“ sein. Nur solche nämlich werden laut Fugazi-Gitarrist Ian MacKaye dort veröffentlicht. Doch im Gegensatz zu Fugazi, die ihre Funktion als politische Band auf textliche Aussagen und ökonomische Unabhängigkeit beschränken, propagieren NOU ihr Anliegen, ihre Vorstellung von Revolution allumfassend. Während Fugazi schlichte Platten mit Textbeilagen machen, liegt „Plays Pretty for Baby“, der neuen und zweiten CD der Nation, ein sechzehnseitiges Booklet bei, das vollgestopft ist mit Bildchen, Fotos und Texten.
Die Band sieht sich selbst als terroristische Vereinigung und schreibt in ihrem Manifest „The Birth of the Ulysses Aesthetic“: „Wir stehen vergiftet am Rand der Geschichte und erwarten das Ende der Musik mit Optimismus. Auf dem Schutt dieser toten Stadt werden wir eine zukünftige Konstruktion des Lärms errichten.“ Das Manifest, das Punk- und Zeitgeschichte verknüpft, endet 1991 mit der Proklamation der Unabhängigkeit der Nation of Ulysses von den Vereinigten Staaten, in der unter anderem die Jugend zur selbständigen Gesellschaftsklasse erklärt und das Alter eines jeden Mitglieds der Nation aus politischen Gründen für immer auf 18 festgesetzt wird.
Das klingt nicht nur wie das Pamphlet einer avantgardistischen Künstlergruppe aus den zwanziger Jahren, es ist auch so gemeint. Die Nation erscheint auf Fotos in altmodischen, aber schicken Anzügen und mit nach hinten pomadierten Haaren – ganz der revolutionäre Künstler vom Beginn des Jahrhunderts. Und wie schon in den Zwanzigern, bleiben auch hier die eigentlichen künstlerischen Ergüsse ein gutes Stück hinter den Vorgaben zurück. Auch die Definition der Musik als „aurale Waffe“ ändert nicht viel. Die terroristischen Klang-Anschläge, die Nation of Ulysses auf „Plays Pretty for Baby“ versammelt haben, sind nicht von anderen auf Dischord erschienenen Hardcore-Stücken zu unterscheiden. Viele der Songs hätten auch auf der letzten Fugazi-LP erscheinen können, die erfolgreich versucht, Rumpel-Punkrock jazzkompatibel zu machen. Man spürt überdeutlich, daß Fugazi-Kopf Ian MacKaye produziert hat.
Bloß hin und wieder löst die Nation den selbstgestellten Anspruch halbwegs ein. „N.O.U. Future-Vision Hypothesis“ ist nicht etwa ein ausuferndes Statement zur im Titel versprochenen Hypothese, sondern ein schlichtes Instrumental, das in seiner ruhigen, fast schon cooljazzigen Art völlig aus dem Rahmen fällt. Daran läßt sich ein Unterschied zwischen weißer und schwarzer politischer Musik in den USA ablesen. Bei den Disposable Heroes of Hiphoprisy wäre ein Stück dieses Titels ein textlastiger Aufschrei – von der Information über die Aufklärung zur Vision. Auch The Nation of Ulysses verlieren zwar reichlich Worte im Lauf ihrer Platte, forcieren aber vor allem den Begleitdiskurs. Bei Ice-T ergibt ein Foto, auf dem er mit einer Waffe abgebildet ist, bereits ein komplettes politisches Statement. Die Taktik der Nation of Ulysses provoziert eher durch Uneindeutigkeit. Sie gibt keine Linie vor, stößt vor den Kopf, stößt ihn im besten Falle zurecht – oder an weiterzudenken. Insofern passen sie doch ganz gut zu Dischord.
Auch Alice Donut erscheinen nicht auf irgendeinem Label, sondern bei Alternative Tentacles, dem Steckenpferd des Ex-Dead- Kennedys-Sängers und Public Enemy (aus Passion und Profession) Jello Biafra. Im diesem puristisch punkrockenden Umfeld war die Band mit ihrem Hang zum komplizierten Weg schon immer eine Ausnahme. Das Booklet ihrer neuen CD hat ganze 36 Seiten, hier allerdings bloß mit den Texten und illustrierenden Fotos bedruckt.
Was bei Nation of Ulysses die Pamphlete sind, waren bei Alice Donut immer schon die Videos. Als Eigenproduktionen stellten sie den allumfassenden Kunstanspruch der New Yorker klar, ohne in der Musik auf die viel direktere Wirkung einer straighten Rockband verzichten zu müssen. In wackligen, verwaschenen Schwarz-Weiß-Bildern wurden oftmals dämliche, meistens verworrene, immer geschmacklose Scherze gerissen, die mit viel Mühe als Kunst interpretiert werden konnten, aber meist so verstanden wurden, wie sie im Grunde auch gemeint waren: als Aufbrechen des MTV-Formats. Die Clips von Alice Donut fielen aus dem üblichen gelackten Videorahmen wie eine Kotzlache auf dem Teppichboden bei Kempinski.
Ganz in der bandeigenen Tradition, die eine Schwäche für ausufernde Titel kennt, heißt der neueste Erguß „The Untidy Suicides of Your Degenerate Children“. Er ist in großen Teilen überraschend eingängig geraten. Das eine oder andere Stück könnte man sogar als Pop bezeichnen. Ihre atonalen Ausflüge, die oft in widerlichen Klanggemetzeln endeten, sind auf das Allersparsamste reduziert. Der Refrain von „She Loves You She Wants You It's Amazing How Much Head Wounds Bleed“ könnte auch eine geklaute Beatles-Melodie sein. Sein schon immer vorhandenes Talent zum Groove hat das Quintett aus New York hier perfektioniert. Selbst bei komplizierteren Breaks oder Rhythmuswechseln gehen Fluß und Tanzbarkeit nicht – wie bei vielen anderen Hardcore-Bands – verloren. Fast scheinen Alice Donut den eher in Großbritannien verbreiteten Ansatz gutzufinden, es müsse erst mal geschwitzt werden, damit dann auch Platz ist für die Botschaft.
Die changiert zwischen tristen, traurigen, aber um so wahreren Erkenntnissen („Everybody is on sale/ Name your price“) und purem Blödsinn („Every day's a holiday, hollandaise, holocaust, ham and eggs. Firemen are your friends. Firemen are big men, strong men, hairy men, ham and eggs.“)
Die Annäherung an den Jazz, ein schwer in Mode gekommenes Element im Ami-Hardcore, beschränkt sich bei Alice Donut diesmal auf den sparsamen Einsatz der Posaune. In der Hinsicht waren sie zwar schon mal weiter, aber sie versuchen sich halt an größerer Eingängigkeit, und vielleicht werden wir sie demnächst dann auch in ihrem TV-Set sehen (und nicht nur, wie vor zwei Jahren, nachts um drei auf Tele 5). Solange es solche Bands noch gibt, muß uns etwas weniger bange sein. Thomas Winkler
Nation of Ulysses: „Plays Pretty for Baby“, Dischord/EFA 20-17971
Alice Donut: „The Untidy Suicides of Your Degenerate Children“, Alternative Tentacles/EFA 18115-26
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