Zwischen den Rillen: Finales Kulturwollen
■ Achtung Kammermusik! Elvis Costello und das Brodsky Quartet
Vor dieser Platte habe ich Angst gehabt. Costello als Kulturhuber – nicht daß es nicht abzusehen gewesen wäre. Aber, beim Barte allen Prophetentums, leichter macht es das nicht, einen der Helden der zornigeren Jahre in den Fängen des kulturellen appeasement zu sehen, bei Geigen, gehobenen Ansprüchen und kammermusikalischen Finessen. Wo er sich zu allem Übel auch noch ganz gut aufgehoben zu fühlen scheint.
Schuld ist das Brodsky Quartet. Es sah, so um die Dekadenwende muß es gewesen sein, Declan McManus alias Elvis Costello bei einem seiner seltenen Konzerte und faßte, so heißt es, eine spontane Zuneigung zu dem ewig gequälten, wertherhaften Menschen – schließlich konnte er ja nichts für seine niedere Rock'n'Roll-Abkunft. Schuld ist Costello selbst. Er sah das Brodsky Quartet 1989 in der Londoner Queen Elizabeth Hall und dachte sich: Mensch, wie die Schostakowitsch spielen können, insbesondere die Streichquartette No 7, 8 und 9! Exzellent! Wär' das nicht auch mal was für mich?
Somehow the connection was made – und wieder war eine folgenschwere Kooperation der Popgeschichte auf den Weg gebracht: die „Juliet Letters“, gesungene Briefe zu Streicherbegleitung, die sich um eine „literarische“ Idee als Zentrum ranken: Ein Professor aus dem oberitalienischen Städtchen Verona, den Künsten offenbar nicht abgeneigt, hatte es sich zur schönen Pflicht gemacht, alle Post zu beantworten, die an die Adresse von Shakespeares Julia eingeht. Daß es sich dabei großenteils um Schreiben von Verliebten, Verwirrten oder sonstigen Wahnsinnigen handelte, bedarf kaum der Erwähnung.
So, oder so ähnlich jedenfalls, steht es auch in dem von Costello selbst verfaßten CD-Booklet, und schon die epische Breite, in der die Brodsky-Costello-Initiation, das Bündnis im Geiste, das Entflammen des Projekts an einer romantischen Idee erzählt wird, macht klar, daß es selbst als ein Stück Literatur verstanden werden will: ein Entwicklungsroman in nuce, in dessen Verlauf der Ex-Rock'n'Roller („New Wave“ sagte man wohl auch mal dazu) in den Besitz der höheren Segnungen der Kultur gelangt. Costello plaudert aus der Schule, skizziert Verfahren und Herangehensweise, anfängliche Schwierigkeiten und allmähliche Erfolge, er kommentiert Kulturwollen und finales Kulturschaffen. Sogar des Notenschreibens ist der Mann beim Ausarbeiten der Arrangements mächtig geworden, und das unterstreicht noch einmal das ebenso Prätentiöse wie „Literarische“ seines Verfahrens: die Absicht, unerwünschte Einflüsse (Sampling, Technik, „Noise“) fernzuhalten, statt dessen Autoren-Pop zu einem Punkt zu treiben, an dem seine kontrollierte Veredelung ihm als Seelenglanz zuwächst.
Entsprechend hochgestimmt hebt das alles an. Ein Brodsky-Intro als Rahmen – einleitendes „Achtung Kammermusik!“ – dann der erste Brief: „I don't know what I should do, if this letter should fall into...“ Costello wirft sich ins Zeug, legt tüchtig Pathos vor; das Brodsky Quartet flankiert mal pizzicato, mal breitgestrichen, zeigt – deutlich unterfordert –, was es so draufhat, läßt sich an der einen oder anderen Stelle sogar zu für E-Musiker ungewohnten Kapriolen wie Tangoeinlagen und ähnlichem verleiten.
Womit bewiesen wäre: die Typen (drei Männer und eine Frau) können was. Bloß hilft das nix, weil Handwerk hier nicht einfach Handwerk sein darf, sondern musikalisch neureich daherkommt. Kaum wiederzuerkennen ist Costellos Stimme in einigen Songs, so sehr schmiegt sie sich dieser zickigen Etüdenhaftigkeit an, und in den beflissensten Momenten hat das schon früher gefürchtete Tremolo etwas von einem Operettenbuffo.
Bloß an den Stellen, an denen die bescheuerte Fassade von Elaboriertheit so weit getrieben wird, daß sich der Song unter Bogenstrichen und massenweise Melodiestuck schon wieder aufzulösen beginnt, kommt etwas von diesen verwirrten Stimmen durch, von denen ursprünglich erzählt werden sollte. Dann klingen die Juliet Letters wie futuristische Heurigenmusik, in deren Herzen ein unendlicher Kater lauert.
Gegen den Willen, ein Stück Geschichte ad acta zu legen und diese Platte wirklich mies zu finden, verschafft er sich Gehör – und läßt einen ratlos mit der Frage zurück: ist man nun endgültig alt geworden oder hat Costellotum als Haltung in innerster Konsequenz doch was? Und das heißt zumindest nicht nichts im Weichbild der Epoche. Thomas Groß
Elvis Costello/Brodsky Quartet: „The Juliet Letters“. (WEA)
Letzte Möglichkeit, das Phänomen hierzulande live wahrzunehmen: heute abend in Berlin, Akademie der Künste
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen