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Zwischen den RillenKeinen raushängen lassen

■ Das Abseits als unsicherer Ort: Die Sterne und Das Neue Brot

Die beste deutsche Popmusik kommt zur Zeit entweder aus der Provinz – oder aus Hamburg. Kaum jedenfalls aus Berlin, wo man sich, von Ausnahmen abgesehen, darin gefällt, allerhand Düsterkeiten zusammenzurühren oder aber Fräuleinwunder gutzufinden (die Lassie Singers sind damit nicht gemeint), und insgesamt eher zum Rock-Essentialismus neigt: keine Experimente. Es mag am fehlenden Kaufmannssohnshumor liegen. In Hamburg, wo so was bekanntlich lange Tradition hat, wird alles verwurstet, in Berlin bleibt man lieber bei der Wurst selber; die ist einem irgendwie näher als das Hemd.

Die Sterne aus Hamburg klingen beim ersten Hören ein wenig nach Berlin. Nicht nur covern sie den Ton-Steine-Scherben-Evergreen „Jenseits von Eden“, nicht nur quetscht Sänger Frank Spilker die Töne so seitlich raus, es hängt ihnen auch dieser zarte Übungskellermuff an, der die Musik selbstverwaltet und basisdemokratisch korrekt rüberwachsen läßt. Ganz klar, da will was was – aufrütteln oder wachmachen –, da ist dieses Planziel einer Aussage, die „wichtig“ (Song- und LP-Titel) ist, und es scheint nur dazu zu passen, daß das auch musikalisch zunächst nach einer Art Urgestein klingt: Funk-Rock der wüsteren Prägung, mit Bläsersätzen und Orgelgewimmer, oft hart an der Grenze zu dem, was man später in den siebziger Jahren „Fusion“ nannte.

Damals war das die Musik, die jeder halbwegs vernünftige Mensch hassen mußte – etablierter Dudelstoff, formal „anspruchsvoll“ und fest in der Hand irgendwelcher Studenten. Wenn der Funk von Die Sterne dieser Falle ganz souverän entgeht, liegt das nicht nur an der veränderten Lage, der härteren Gangart, es muß auch mit einer sehr bewußten Wahl der Mittel zusammenhängen: Funk wird nicht „positiv“ beerbt, er ist eben doch kein Essentialismus unter vielen, sondern erkämpfte Plattform in einer Situation, in der die Lust am simplen Rock-Posing (und wenn es von Nirvana kommt) endgültig verlorengegangen ist: „Der saß und das/ In meiner Wohnung/ Massive Wiederholung und die Betonung/ Auf den Refrain/ Komische Slogans wie: Kommt zusammen,/ Fickt das System/ Meine Verfassung verschlechtert sich“ („Rockmühle“).

Was macht man da, wenn man außerdem zu sehr Bürgerssohn, zu intelligent und sensibel ist, sich blind irgendeinem HipHop in die Arme zu werfen? „Geräusche, die Teppiche legen/ Stimmen sickern durch und werden wieder Wesen“. Funk-Rock mit seinen Breaks und Synkopen ist die Form, die es erlaubt, tastend vor- und rückwärts im Text zu stolpern, bei allem Zorn auf Gott und die Welt auch mal abzuliegen und durchzuhängen, sogar frühere Arbeitsstufen zu kommentieren („Fickt das System“ hieß ja mal eine Sterne-Single), alle möglichen Schichten auf den Rhythmus aufzutragen, ohne sich dabei auf ein stures Songschema festzulegen. Von einer anderen Seite wird die Annäherung möglich an das schon von Bands wie Blumfeld oder Cpt. Kirk formulierte Ideal einer refrainlosen, bewußtseinsstromartigen, sich pausenlos selbst verbessernden Songprosa: „Das hat mich jetzt verwirrt und was verwirrt berührt/ Quatsch/ Das hat mich jetzt verwirrt und was verwirrt bewirkt/ Daß man sich orientiert/ Oder wie auch immer...“

Natürlich kommt so keine im engeren Sinne „politische“ Aussage zustande, eher so etwas wie Kraft durch Verwirrung, Zorn aus Verweigerung, ein offenes Auskarten von Widersprüchen– mit allem, was dabei zwangsläufig scheitern muß. „Wichtig“ bringt Marx, Adorno, Foucault und den Anti-Ödipus auch nicht zusammen, und selbst wenn das den Beteiligten in ihrem Alles-Wollen ein wenig leid zu tun scheint, setzt man am Ende einsichtig auf die Radikalität poetischer Sprache, auf Zeilen wie „Zuhause hat der Regen eine Welt zerbombt“ oder „doch die hier weigern sich Mensch zu werden“.

Starke schwache Worte, Mann. Ein bißchen zu allgemeinmenschlich, ein bißchen auch mit der Peinlichkeit alles Masochistischen behaftet. Wolfgang Borchert in Rock. Und trotzdem besser als so manches andere, was sich heute das Etikett politically correct anklebt. Schließlich ist das keine ganz schlechte Tradition – das Abseits als unsicherer Ort.

Das Neue Brot, ebenfalls HH, singen zwar Sachen wie „Danke Penis, schlag es kaputt“, arbeiten aber letztlich in eine ähnliche Richtung. Das ist nämlich lustig gemeint, operettenhaft, die Gitarren heulen übertrieben dazu auf, und schon weiß man: Auch da geht es gar nicht darum, einen raushängen zu lassen, ganz im Gegenteil, nichts liegt dieser Band ferner als simples Abrocken. Der zweite Titel heißt dann schon „Mondenschein“ (reimt sich hier auf „bei dir sein“), und wenn von einem „Stück mit Hand und Fuß“ die Rede ist, kann man sich denken, wie das ausgeht.

Daß das Zweifeln an der Formsprache des Rock und deren Zentralsignifikanten (Gitarre, Pose, „Penis“) bei Das Neue Brot weniger grüblerisch als heiter ausgelegt ist, verschafft ihnen einerseits den Spaß-Bonus, andererseits verplätschert eine ganze Reihe guter Ideen in purer „postmoderner“ Lockerheit, einer Haltung, die nichts mehr ausrichten kann oder auch will. Im besten Fall klingt das wie eine Neuausgabe von Andreas Dorau, im schlechtesten wird's Klamauk, keinesfalls aber kommt das Ganze über ein Bauprinzip hinaus, das ich an anderer Stelle „Hamburger Klötzchenbauweise“ genannt habe: Man baut und baut und baut und verliert darüber die Perspektive. „Lustlos“ heißt ein Titel, und das trifft die Sache insofern, als man den aktuellen Zustand der Rockmusik beim Spielen wörtlich genommen hat: Ton, Steine, Scherben. Thomas Groß

Die Sterne: „Wichtig“

Das Neue Brot: „Arbeit“

(beide L'Age D'Or)

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