Zwischen den Rillen: Exil auf der Hauptstraße
■ Dem Rock 'n' Roll geben, was des Rock 'n' Rolls ist: Lebensstilstoff mit Primal Scream und den Charlatans
Sport, Spiel, Spannung? „This is lifestyle stuff!“, schreibt der englische New Musical Express zur neuen Primal Scream – was zweifellos als freundliche Verbraucherwarnung und Orientierungshilfe journalistischerseits gemeint ist: Achtung! Hier lassen nicht einfach irgendwelche Säcke die guten Zeiten rollen! Nein, da werden Teenagerärsche zu bewegt!
Sowas bedarf heute der Klarstellung, weil es sonst leicht zu Verwechslungen mit, sagen wir, den Rolling Stones kommen könnte; weil uneingeweihte, stinknormale Hörer „Give Out But Don't Give Up“ für irgendeine uneingeweihte, stinknormale Rockplatte zu halten in der Lage wären. Und das will ja keiner, nach all dem Hin und Her, der weiten Reise durch die musikalischen Provinzen, dem Trubel und den ganzen Interviews. Primal Scream, die letzten Helden der Klasse von 1986, haben einmal den Planeten Pop umkreist, haben Wimp-, Plinker-, Schlonk- und Plönk-Rock hinter sich gelassen, Prä-, Hoch- und Spät- Rave überrundet, Tupfenhemden gegen Paisleywesten gegen Ledermonturen getauscht, und am Ende einer langen, staubigen Straße stand dann eben dieser pinkfarbene Cadillac. Da sind sie einfach eingestiegen, erzählt der rappelige Bobby Gillespie jedem, der es hören will oder auch nicht. Jetzt hat seine kleine Band die Rockin' Pneumonia, die Boogie Woogie Flu, und ganz nebenbei kriegen alle noch ihre Ya-Yas raus.
Trotzdem ist nicht einfach Rock, was Primal Scream da machen, sondern eine Art Konzept- Musik. Oder Rock-Lego. Wer die Geschichte kennt, hört mit etwas Übung sogar den Unterschied. Es ist nicht nur dieses angelegentliche Fiepen und Furzen aus Elektronik, der Dancebeat unter und über dem Gitarrenschweinkram (der im übrigen überraschend gut mit dem Synthieklingeln meines neuen Telefons harmoniert – wird eben alles immer konvertibler...), es ist diese generelle Dance-Haltung zu Rock, die Primal Scream als Erbe aus den Tagen der Rave- o-lution beibehalten haben. Charaktere am Rande der Verflüssigung: Rocker-Egos werden keine rausgehangen, der Einzelmusiker ist mehr lebende Klangfarbe in den Händen eines ideellen Gesamtmixers – was sogar für Gillespies Stimme gilt. Braucht man mal etwas mehr Soul, als sie hergibt, wird für diesen kleinen Schnörkel einfach die hippe schwarze Sängerin (Denise Johnson) ins Studio geholt. Im selben Sinne tragen auch George „P-Funk“ Clinton (Parliament, Funkadelic), Jim Dickinson (erschieß mich nicht: Piano-Spieler der Rolling Stones), Produzenten-Legende Tom Dowd (Aretha Franklin, Otis Redding, Rod Stewart), die Memphis Horns und andere Großmeister ihr Scherflein zum allgemeinen wie spezifischen Success bei.
Kann da noch irgendwas schiefgehen? Als nicht mehr ganz junger Mensch läßt man das eine Weile sich drehen, bis der Rock-Soul-Hansdampf-in-allen- Gassen-des-Wompin'-und-Stompin'-Stew Blasen zu werfen beginnt, in denen immerhin zu lesen ist: 1. Die Zutaten werden zwar nicht besonders vitaminschonend, aber doch mit Respekt behandelt, Motto: Wir haben den Groove von unseren Schwarzen nur geliehen. 2. „Give Out But Don't Give Up“ versucht Gesetze der thermischen Dynamik auf den Kopf zu stellen: Der Entropie des Rock wird eine Art Energieverdichtungsprinzip entgegengehalten, das die Einzelteile neu formatiert und wie unter Hochdruck zusammendampft. 3. Daran liegt's dann auch, daß die Refrains so superformelhaft kompakt, so skelettiert und gleichzeitig essentialisiert klingen: „Cry, cry, cry, cry, cry, cry, I'm gonna cry myself blind“, „Ev'rybody needs somebody“, „Get yer rocks off, get yer rocks off, honey“ oder „Funky, funky, get a little funky“ – das kapiert jeder, das ist wahrhaft international, das ist nah dran an wesentlichen Minimalismen wie „Fa fa fa fa fa fa fa“ oder „yeah, yeah, yeah“. 4. Viele Menschen werden sich dazu wie erlöst in die Arme sinken, die Platte ist also tätiges Versöhnungswerk, Arbeit am Generationenvertrag, und weil 5. in diesen kultischen Zeiten dem Rock 'n' Roll ohnehin alle paar Jahre gegeben werden muß, was des Rock 'n' Rolls ist, lautet die Gesamtwertung: absoluter Klassiker. In 20 Jahren wird man Jeans dazu verticken.
Nicht ganz dieses Klassenziel erreicht haben die Charlatans. Zu Rave-Zeiten unter ähnlichen Bedingungen gestartet wie Primal Scream, schaffen sie es auf „Up To Our Hips“ nicht, die vielen zentrifugalen Kräfte ihrer vom raschen Altern bedrohten Musik wenigstens durch unterhaltsame Untersynthesen zusammenzuhalten. Die eine tolle Single („Can't Get Out Of Bed“) steht etwas verloren zwischen Wichtigtu-Titeln („I Never Want An Easy Life If Me And He Were Ever To Get There“), ins Zeitlose abschwirrenden Hippie- Rock-Redramatisierungen, „experimentellem“ Füllstoff und „psychedelischen“ Orgel-Daddeleien.
Dabei würde man als Freund des Scheiterns auch dieses Scheitern gern interessanter finden als die allgemein beklatschte Stromlinie, wäre aus dem Charlatans- Mix nicht immer die leicht schwitzige und verbiederte Anstrengung rauszuhören, durch die Kombination des richtigen Haarverfettungsgrads mit dem richtigen Verrockungsfaktor, den richtigen Drogen, den richtigen Billigpullovern und dem korrekten Hammondorgel-Sound auf die Titel der Musikblätter zu kommen.
Da sind doch schon all die andern! Und deshalb muß gerechterweise konstatiert werden, daß der Versuch der Charlatans, mit ihrem angestrengten Blubberdesign das Exil auf der Hauptstraße zu beziehen, anders als bei Primal Scream keinen echten Lebensstilstoff enthält. Was im Grunde schade ist: Sie hatten schon immer den besseren Namen. Thomas Groß
Primal Scream: „Give Out But Don't Give Up“ (Creation/Sony)
Charlatans: „Up To Our Hips“ (Beggar's Banquet/SPV)
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