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Zwischen den RillenJung und erfahren

■ Es muß nicht immer Snoop Doggy Dogg sein: HipHop von Nas und Casual

Nas alias Nasir Jones, Rapper aus New York, ist grade mal zwanzig. In dem Alter kommt keiner aus dem Nichts, zumal wenn er gleich auf seinem Debüt einige der besten Produzenten der Ostküste um sich scharen kann. Spätestens seit Nas' Gast- Rap auf „Live At the BBQ“ von Main Source (1992) hat er bei den Großen des Eastcoast-HipHop einen Stein im Brett: MC Serch, Ex-Rapper von 3rd Bass und executive producer von Nas, schreckt vor keinem Superlativ zurück und bezeichnet ihn gleich als den besten MC, den er je gehört habe. Aber auch die anderen Beteiligten (unter anderem DJ Premier von Gang Starr und Q-Tip von A Tribe Calles Quest) vergleichen ihn schon mit Rakim, der lebenden Rap-Legende der New School.

Nas könnte diesen Erwartungshaltungen tatsächlich gerecht werden. Mit „Mostly Tha Voice“ haben er und Gang Starr auf ihrer letzten Platte einen ganzen Titel über die Wichtigkeit des Klangs der Stimme gemacht. Entscheidend aber ist wohl, daß Nas mit seltener Unaufgeregtheit und Souveränität sehr geschickt verdichtete Fassungen des Lebens in der Hood rapt, dabei aber nie zu langsam oder bedächtig wird, sondern die ganze Zeit einen sehr stringenten Level hält; als gelte es, gleich mit der Debütplatte alles auszudrücken, was gesagt werden will.

Nas-Raps kreisen um das, was einen zwanzigjährigen Schwarzen aus den trostlosen Wohnsilos der armen Neighborhoods New Yorks so beschäftigt. In dem Alter liegen schon zehn Jahre des in Rhymes reflektierten Lebens hinter ihm, zehn Jahre, in denen er sich am Mikrofon versucht hat und in denen sich Verhaftungen, Tod von Freunden und allerhand Trouble ereignet haben.

Auf dem Cover ist ein kleiner Junge abgebildet, der ernst in die Kamera, oder besser verloren durch sie hindurch schaut; in Doppelbelichtung ist sein Gesicht von einer leeren Straße der Wohnsilos von Queensbridge durchflutet, offensichtlich eines der typischen gescheiterten Siebziger-Jahre-Stadtteilprojekte, dem von den Bewohnern in Eigeninitiative mittlerweile wieder eine Idee von Leben abgetrotzt worden ist.

Auf dem Innencover sieht man patrouillierende „Housing Police“ auf Mountainbikes, daneben ein Panoramafoto der Nas- Posse: Dreikäsehochs wie bärtige Kerls sind da um den rappenden Hoffnungsträger geschart, keiner, der nicht die dunklere, schwerere Variante des HipHop- Clothings tragen würde. Keine Frauen.

Neben diesem Foto wiederum drei kleine, die verstorbene Brothers zeigen: „In Memory of: ...“, dann werden eine ganze Menge Namen aufgezählt, am Ende drei Pünktchen und dann: „One“. Alle sind eins, vereint auf der Straße vor den Häusern, unter den wenigen Bäumen, wo in den Sommern der ersten HipHop- Welle die Rapcontests und die Old-School-Straßenparties stattgefunden haben: „Let me take a trip down memory lane“ – in einem Satz wird die eigene Rap- Fertigkeit und die Reflexion darüber mit der einfachen Beschreibung der dunklen Straßen des Housingprojects zusammengeführt. Er beschreibt auch den Lebensbereich, den die meisten nicht verlassen, einen Alltag, den Heineken-Bier und „Ganja“ zu betäuben helfen.

Frauen sind darin etwas Fremdes, anderes, das immer nur auf der Ebene von Sex und Schwangerschaft verhandelt wird, etwas, was aber auf jeden Fall nicht als dem Öffentlichen des HipHop zugehörig gerechnet wird. Im Gegensatz zu dieser nur durch viel Souveränität im Rap-Technischen überdeckten Unsicherheit im Verhältnis zu Frauen scheint Nas ein sehr sicheres Gespür dafür zu haben, welche Tracks der beteiligten Produzenten seinem Rap-Stil am dienlichsten sind.

Hier sind definitiv nicht zu viele Köche am Werk. Die zehn Stücke strahlen eine gemeinsame Stimmung aus, eine melancholische, atmosphärische Verhaltenheit, getragen von sehr effektvollen Jazz-Pianofiguren. In „Memory Lane“ kommt eine hypnotisierend wiederholte Doowop-Gesangspassage hinzu, in „Life's a Bitch“ eine gedämpfte Trompete.

So weit sind Ost- und Westküste manchmal gar nicht voneinander entfernt: Der gerade mal achtzehnjährige Casual aus Oakland, Teil der Hieroglyphs-Crew (die sich außer ihm aus Del tha funky Homosapien und den Souls of Mischief zusammensetzt), hat auf seinem Debüt fast so viel Reife entwickelt wie Nas – wenn er auch nicht ganz so dicht über sein Leben berichten kann oder will. Sein Thema ist auch viel mehr der Stolz des in der Rap- Battle erfahrenen Jungspunds. So einer weiß was er kann – und sagt es auch.

Sein Akzent liegt weniger auf den Gemeinsamkeiten der Brotherhood als der Konkurrenz unter den Rappern. Wenn er seine Skills, seine Fertigkeiten, zeigt, reflektiert sich das schon wieder in vielen spielerischen Bildern, die ausdrücken, daß Rap zwischen (gewaltsame Auseinandersetzung ersetzender) Sportivität, Selbstbezug und der Sicht auf die harte Realität der Straße pendelt – und manchmal in einem Satz beides zusammenführt.

Stärker noch als bei Nas basieren hier die meisten Samples auf Jazzaufnahmen – ohne jedoch die fingerschnippende Leichtigkeit des Acid-Jazz anzustreben. Eher geht es darum, in Trompeten- und Pianopassagen die zwischen Traum und Alptraum gefangene Stimmung der Geto Boys mit funky treibender Aufgeräumtheit zu verbinden.

Casuals Stimme klingt hoch, hitzig, nah am Überschlagen, wenn auch schon jede Silbe vor schelmischem Selbstbewußtsein strotzt. Der suggestiven Kraft, die Nas in seinen Reimen durchgehend entfaltet, entspricht hier die leichtere, beiläufigere Selbstverständlichkeit, die aber genauso die mit Knarren fuchtelnde Hauruck-Attitüde von jungen Hooligan-Crews à la Onyx oder Hoodratz hinter sich läßt. Neue junge Abgeklärtheit. Jörg Heiser

Nas: „Illmatic“. Columbia/Sony.

Casual: „Fear Itself“. Jive/BMG Aris.

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