Zwischen den Rillen: Faltenwurf in Rot
■ Vor dem Einschlafen aufzulegen: Joe Jacksons „Night Music“
Drei Jahre Wartezeit. Und dann das. Die neue CD des Pop- Intellektuellen Joe Jackson, der im vergangenen Jahrzehnt doch immerhin ein Dutzend Tanznummern zustande brachte, geht ganz und gar nicht los. Was ist das? Peter und der Wolf und Joe? Brecht/Weill für die Neunziger? Oldfield meets Orff in New York?
Überwiegend allein hat der studierte Pianist und Komponist Jackson das Album „Night Music“ eingespielt, das, nur einmal gehört, in gewolltem Ernst abzusaufen scheint: Jackson Classic, Kammer-Pop, ambitioniert bis zum Anschlag. Hier will einer alles zeigen, was er kann. Zitiert sich ständig und hemmungslos selbst, nutzt allerlei philharmonisches Instrumentarium und greift kokett auch noch auf ein 11jähriges Chorknäblein, eine Opernsängerin sowie die „Baßtrommel der Heilsarmee“ zurück. Vorne auf der Packung drauf: ein Faltenwurf in königlichem Rot. Und in einem der Songtexte sieht sich der Meister auch noch – sozusagen in den ewigen Charts – neben Bach und Shakespeare begraben.
„Night Music“ ist, nach den zwischendurch entstandenen Filmsoundtracks („Queens Logic“, „Three Of Hearts“), das erste reguläre Album Jacksons seit drei Jahren. Wieder eine Art „Konzeptalbum“ – wie so viele seiner Platten. Es besteht aus vier „Nocturnes“, durchnumerierten Instrumentalparts, und sechs gesungenen Nummern. In nahezu jedem der Stücke tauchen kurz, kaum merklich, Melodielinien aus früheren Alben Jacksons auf. „Night Music“: bitte vorm Einschlafen nochmal an sich vorbeiziehen lassen. Träume und das Unterbewußtsein sind das Thema der Texte.
Die Bezüge auf die musikalische Vergangenheit helfen ein wenig beim Einstieg in eine Platte, die erst nach mehrfachem Hören wirklich ans Gefühl geht – meist dort, wo Jackson sich selbst zurücknimmt und andere Stimmen und Musiker einsetzt, um ein besseres Ergebnis zu erzielen: So singt er in „Ever After“ nur noch das Dududu als Hintergrund für die klare Jungenstimme von Taylor Carpenter. Oder er läßt in „Danny Boy“ und „Lullaby“ den Sängerinnen Maire Brennan (von Clannad) und Renee Fleming den Vortritt. Exzellent auch die Kurzauftritte von Gary Burke (Schlagzeug), Albert Regni (Klarinette) und Tony Aiello (Flöte). Von Jacksons bewährtem Bassisten Graham Maby gar nicht zu reden.
Immer schon waren dem in New York lebenden Briten, der im August 40 wurde, der Jugendkult und die aufgesetzte Emotionalität des Rock zuwider: „Rock 'n' Roll – what a fascinating concept“, pflegte er zu spotten. Hochnäsig lehnte er es lange Zeit ab, überhaupt Musikvideos zu seinen Songs zu drehen. Konzerte spielt Jackson so genau wie vom Plattenteller – quasi gegen die Fans –, genießt es, ihnen das Klatschen und Mitsingen zu verbieten. Ein sympathischer Großrechner, stets kontrolliert und kalkulierend.
Begonnen hat er 1978 als kommerziell erfolgreicher New Waver. Drei Jahre später und nach einem Ausflug in die Swing-Ära („Joe Jackson's Jumpin' Jive“) brachte er die beiden jazzigen Alben „Night and Day“ und „Body and Soul“ heraus – zum Teil aufgenommen mit Studiotechnik der 40er Jahre. Danach folgte „Big World“, eine Weltreise mit Weltmusik, live vor Publikum aufgenommen – ein Jahrzehnt bevor MTV mit dem Authentizitätsquatsch „Unplugged“ begann. „Blaze of Glory“ und „Laughter and Lust“ waren dann musikalische Midlife-Bilanz, die alle Stile Jacksons zu schlüssigen Produkten zusammenfassen sollten. Mit der Nummer „The Old Songs“ lieferte er schließlich die Abschiedsparodie auf den altmodischen Popsong.
Der Abschied ist genommen. Mit dem neuen Album verschneidet Jackson akustische und elektronische Sounds so perfekt wie nie – und so weit entfernt von den Charts wie noch nie. Das ist dem langsam Ergrauenden freilich egal: „I just don't give a shit about whether it's fashionable or not“, sagt er. Und da kommt sie dann doch irgendwie durch, die verhaßte Rebellenpose. Hans-Hermann Kotte
Joe Jackson: „Night Music“. Virgin Records.
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