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Zwischen den RillenAfroamerikanische Kantaten

■ Ganz großes Unterhaltungsdrama: Stevie Wonders „Conversation Peace“

Motown ist keine Familie mehr. Auf seiner neuen CD dankt das einstige Wunderkind Stevie Wonder dem Unternehmen kurz und knapp, ansonsten tauchen weder Namen wie die Temptations noch Diana Ross, das Hitschreiber-Team Holland/Dozier/Holland oder Smokey Robinson auf der Grußliste auf.

Nicht einmal die Jugend in Form von Boyz II Men wird erwähnt, deren jungenhaft schmelzende Vocal-Lines Wonder doch ebenso gewaltig beeinflußt hat wie überhaupt alles, was heute im Swingbeat zwischen Silk'n'Soul und Straße passiert. Statt dessen wird sich tief vor einem gewissen Symbol namens Prince verneigt: „Ich hätte nicht gedacht, daß es noch solche Herzen wie dich gibt. Vielen Dank, daß du das dir gegebene unglaubliche Genie und die Musik mit mir teilst.“

Ganz so ausgebrannt wie der fesch sich selbst karikierende Disco-Rockismus vom Symbol klingt Stevie Wonder nicht. Zwar finden sich auch auf „Conversation Peace“ wieder diese furchtbar aufdringlichen Gebrauchslieder für Kaufhaus-, Warteschleifen- und Radioprogramme im Stil von „Isn't she lovely“, „Happy Birthday“ oder „I just called to say I love you“, deren penetrante Heiterkeit sich frei von allem Unbill der Welt dudelnd aufs Gemüt legt. Die erste Single-Auskoppelung „For your Love“ ist in ihrer stoisch dahingesungenen Versöhnungsgeste mehr für Geschäftsessen und öffentlich-rechtliche Fernsehshows geeignet als fürs Leben. Aber den Rest der Platte, immerhin 68 Minuten, kämpft Wonder recht nachdrücklich um den Frieden (ein Song mündet in den Chor „Ban the hand gun“). Und er leidet an der Liebe.

Bei „Taboo to love“ etwa schiebt sich sein fast schwebender Gesang an einer mit allerlei Flöten und Harfen orchestrierten Ballade entlang. Das Ganze hebt an wie ein Ballett- Thema, bauscht sich auf, wirft Schnörkel, ein paar Schatten in Moll und verhallt. Großes amerikanisches Unterhaltungsdrama: Der tieftraurige Grundton entspricht zugleich den kulleräugig weichen Gefühlsbildern, die in Disneys Studios den Kreaturen aufs Gesicht gezeichnet werden, und der eindringlichen Seelenarbeit, mit der Barsänger nach Schichtschluß über ihre Existenz grübeln. Daß diese Stimmungen überzeichnet sind, gehört zum Wesen des Soul, der ja immer schon gleich den ganzen Himmel auf die Erde holen will. Wahrscheinlich ist selbst die Nähe der Melodie zu Brels „Ne me quitte pas“ gewollt. Doch wo das Chanson die Ängste des Verlassenwerdens ausmalt, singt Wonder über die viel verborgenere Angst, nicht genug lieben zu können.

Statt sein Gegenüber auf Gemeinsamkeiten verpflichten zu wollen, wünscht Wonder zum Abschied alles Gute: „Have fun but don't play/No taboo to love“. Dieses unmittelbare Verständnis für die Begierden des anderen trifft dann doch sehr schwer ins Herz.

Natürlich bleibt auch ein Star wie Wonder nicht vor musikalischen Veränderungen verschont. Zwei Drittel des Albums hoppeln zu den Streetbeats und Samplings der letzten Saison dahin, zu „Tomorrow Robins will fly“ versucht er sich im Duett mit dem jamaikanischen Toaster Edley Shine an einer relativ vermurksten Ragga-Einlage, und bei „Cold Chill“ imitiert Wonder recht verlegen das Mackertum des HipHop.

Dabei wirken dann kumpelhafte, scheinbar auf der Straße aufgeschnappte Textzeilen wie „Hot to trot and about to pop“ so unbeholfen, als wollte der Vater auch einmal mit seinen Kids kommunizieren. Ein Four-letter-word kommt ihm trotzdem nicht über die Lippen.

Überhaupt sind die Songs sehr alter Schule, weniger im Studio konstruiert, als auf Notenpapier geschrieben. Kein DJ wird die durchkomponierten Arrangements zurechtstutzen und mit Beats oder Soundeffekten an der Substanz rühren können. Selbst unter dem Synthie-Teppich von „Rain your Love down“ hört man das wohltemperierte Klavier heraus, und der finale Gospel „Conversation Peace“ scheint noch einmal den schwarzen Hochkulturismus der Familie Marsalis zu belegen. Afroamerikanische Kantaten für eine schwarze Mittelklasse, die dem Reihenhaus nähersteht als der Straße. Anders als Michael Jackson allerdings kann Stevie Wonder dort auch leben, von wo aus er singt. Harald Fricke

Stevie Wonder: „Conversation Peace“ (Motown, CD)

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