Zwischen den Rillen: Weg vom Wabersound
■ Techno als Psychoanalyse und zwei weitere Versuche im Ambient-Genre
Das eine folgt ganz allmählich aus dem anderen. Was als Stillstand erscheint, ist der nicht mehr wahrnehmbare Grad der Bewegung. Aber Bewegung ist er allemal. Deswegen gibt es nicht den großen Unterschied zwischen 150 Beats pro Minute und keinem Beat in 70 Minuten. Und deswegen ist es auch verständlich, daß es Techno-Anhänger gibt, die zwar House hassen – obwohl da die Unterschiede weit weniger ohrenfällig sind –, aber Ambient lieben. Das ganz Schnelle und das so gut wie Bewegungslose müssen im kühlen Raum elektronischer Musik zwei Seiten einer Platte sein.
Das zeigt sich nicht nur an den Techno-Clubs, die ohne Chillout-Zone, in der man beatlos abhängen kann, nicht mehr auskommen. Sondern genauso in der Selbstverständlichkeit, mit der Techno-Musiker gleichzeitig ein Hardcore- und ein Ambient-Projekt verfolgen. Der in der Szene übliche Brauch, daß sich eine Person verschiedene Namen zulegt, um sie je nach der derzeit gepflegten Musikrichtung in die Diskussion zu bringen, erweist sich hier als sehr nützlich. Techno bietet den aktiven Künstlern die besten Möglichkeiten, sich der verschiedensten Ausdrucksweisen zu bedienen. Infrastrukturell wird dies durch die Vielzahl der Labels unterstützt, die unterschiedliche Geschmäcker bedienen. Wenn also jemand, der bisher nur Acid gemacht hat, jetzt mal was Ruhiges produzieren möchte, muß er sich nicht auf lange Diskussionen mit seinem bisherigen Label einlassen, sondern bietet sein Projekt einer Firma an, die diese Art von Musik vertritt und also auch viel besser promoten kann.
Robert Babicz alias Rob Acid ist seit Jahren im Geschäft. Bisher hervorgetreten mit Acid- inspirierten Tracks, hat er nun eine gaaanz ruhige Platte auf Dr. Mottes Space-Teddy-Label veröffentlicht. In Interviews betont er, daß dies die persönlichste Platte seiner musikalischen Laufbahn und die Arbeit an ihr mit einer Psychoanalyse vergleichbar gewesen sei. Die Platte mit zwölf namenlosen, römisch bezifferten Stücken erinnert an Brian Enos Flughafenmusik. Manchmal wird es etwas lauter, zum Beispiel wenn ein Hubschraubergeräusch nach vorne gemischt wird. Sonst sphärische, aber nie überladene oder kitschige Klänge – man spürt durchaus die Ernsthaftigkeit, mit der die Musik nicht nur als Bebilderung eines psychischen Zustands gebraucht wird, sondern als Träger des Gefühls erscheinen soll.
Dennoch kann Babicz seine Platte aus dem Klischee (Ambient = wabernde Gefühligkeit) nicht ganz befreien. Das liegt zum einen an den Äußerungen, mit der er sie medial begleitet, zum anderen an Titel und Cover. Darauf ist ein verhangener Himmel zu sehen, hinter den Wolken bildet die Sonne einen hellen Fleck, darin steht „dicabor“. Das ist das sagenhafte Schwert aus zahlreichen Fantasy-Geschichten. Psychoanalyse und Dicabor: Hat der Musiker Verbindungen, die ihn fesselten, gekappt? Man möchte es hoffen. Die Musik der Platte zeigt, daß er im Neuland bestehen kann, die Dankesliste, über der „in no order“ steht, führen allerdings noch „Mutti und Papa“ an.
R.I.C. kommt aus Kaiserslautern und hat alles, was Techno bietet, praktiziert. Als Speedfreak, Braindub, Biochip C. etc. hat er alles zwischen Hardcore und House gemacht. Als R.I.C. (Ruhe im Chip?) führt er die eher ruhige Schiene. Schon der Titel der Platte, „Distance“, verweist auf den Abstand, den die auf ihr zu hörende Musik zu der sonst von ihm produzierten hat. Ähnlich wie Rob Acid spricht auch er davon, daß diese ruhigere Variante „persönlicher“ ist. Der Unterschied ist aber schnell zu hören. R.I.C. spielt Melodiebögen aus, er baut die Tracks jeweils neu auf, so daß wir hier nicht mit auf- und abschwellenden Stimmungen konfrontiert werden, sondern mit durchgearbeiteten Stücken.
Wenn man Ambient als Rahmen dieser Platte begreift, wird deutlich, daß R.I.C. das vorgegebene Muster der Ruhe und Langsamkeit immer wieder durch eingesetzte Breakbeats oder vertrackte (selten durchgehende) Rhythmuspassagen bricht. Zu verstehen wäre das als der Versuch, die Ambient- Formel zu benutzen, um mit ihr Ausdrucksmöglichkeiten zu errechnen, die im bisherigen Werk außerhalb des Rasters lagen. Ambient wird bei R.I.C. also als „persönlicher“ angesehen, aber nie als Ausdruck der „Privatheit“ benutzt. Die eingestreuten Beats treten die Tür immer wieder auf.
Bei The Orb lassen sich diese Konstruktionen nicht anwenden. Als Väter des aktuellen Ambient (sie praktizieren das seit 1988), ist für sie diese Art der Musik nie ein Gebiet gewesen, in das sie sich zurückgezogen haben, um danach wieder dem Dancefloor zu frönen. The Orb waren von Anfang das große, übergreifende Ambient- Ding. Es gab nie Probleme, eine Show in Glastonbury vor 40.000 Indie-Rockfans zu geben, die auf den Gig der Lemonheads warten. Sie haben immer dazugehört und haben so zumindest in England Ambient als nicht nur die Techno-Szene betreffende Konsensmusik etabliert. Diesem Status entsprechend ist ihr neues Album ein reifes und dem Vorgänger „Pomme Fritz“ weit überlegenes Werk. Die Anspielungen von Cover und Typo auf das Mittelalter zeigen, daß sich die Band souverän aus den Wirren der Jetztzeit ausgeklinkt hat. Aber das war ja immer ihr Job. Nun haben sie es geschafft.
Martin Pesch
Rob Acid: „Dicabor“
Space Teddy/Efa.
R.I.C.: „Distance“
Mille Plateaux/Efa.
The Orb: „Orbus Terrarum“
Island/Mercury.
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