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Zwischen den RillenMenschen womöglich

■ Jäger der verlorenen Schnittstelle: Experimentelles von Indicate und Tortoise

Fünf einzelne quadratische Fotokarten, auf denen Mehrfachbelichtungen herbstlicher Fauna zu sehen sind, stecken in der Verpackung der ersten CD von Indicate. Auf der Vorder- und Rückseite des Package sieht man ähnliche Bilder mit rötlichen Lichtstreifen, wie sie bei der Entwicklung am Anfang und Ende eines Films entstehen. Schon visuell wird angedeutet, daß es auf dieser Platte wenig Eindeutiges gibt. Dazu paßt die Titelgebung der drei zehn, fünfzehn und zweiundzwanzig Minuten langen Stücke, die nur durch ihre laufende Nummer und ihre Zeitangabe gekennzeichnet sind.

Jim O'Rourke und Robert Hampson, die beiden Musiker, die sich zusammen Indicate nennen, sind keine Unbekannten. Der Australier O'Rourke bewegt sich seit Jahren mit seinen Einzelveröffentlichungen und Kollaborationen auf der Schnittstelle zwischen Avantgarde-Rock, Elektronik und Neuer Musik. Zur Zeit ist er Mitglied der Fomation Gastr Del Sol (Ex-Bastro) und fiel kürzlich auch durch einen Remix für die deutschen Experiment-Elektroniker Oval auf (von einer festen Zusammenarbeit hört man derzeit munkeln).

Hampson wiederum hat, nimmt man Indicate als vorläufigen Endpunkt, eine weitere Strecke hinter sich gebracht. Ende der achtziger Jahre war er der Kopf der Londoner Psychdelic-Rockband Loop, die nie richtig aus dem Schatten der Spacemen 3 heraustreten konnte. Auf ihrer letzten LP war allerdings schon die Richtung angedeutet, die Hampson interessiert. Deutlich standen Sound und repetitive Rhythmik im Vordergrund, die sich nur noch schwer in Rocksongs mitsamt zu singendem Text zwängen ließen. Konsequent war daher die Metamorphose zur Nachfolgeband Main und deren atmosphärischen Soundgebilden.

Soundgebilde könnte man die Stücke auf Indicates „Whelm“ auch nennen. Hier geht es aber weniger darum, eine Atmosphäre zu erzeugen, als unterschiedliche Klangbereiche miteinander in Beziehung zu setzen. Obwohl es in den knapp 50 Minuten sehr ruhig zugeht, hat man es hier nicht mit Meditationsmusik zu tun. Es gibt zwar einige über lange Minuten reichende Sounds weicher und wogender Art. Diese werden aber meist abrupt unterbrochen und gegen einen anderen, sich zum Beispiel in seiner Räumlichkeit unterscheidenden Sound gesetzt.

Das längste Stück hat mehrere Teile, die durch Ausblenden oder ein krachendes Geräusch getrennt werden. Das Thema des Tracks (vielleicht des ganzen Albums) könnte man das Hörbarmachen von Innen und Außen nennen. Ganz leise dringt einmal aus dem Nebenzimmer Musik von Ravel, lauter und durch Synthiesounds überlagert scheint ein anderesmal ein Demonstrationszug mit Lautsprecherwagen durch die Nachbarschaft zu ziehen. Da gibt es einen langen, extrem leisen Part, in dem man unter einem fließenden, hohen Klang Stimmen von Menschen hört, Schritte, Vogelgezwitscher. Gegen Ende der Passage werden die Stimmen lauter; ein Stückchen davon wird in einen Loop überführt und im folgenden mit Klappergeräuschen versetzt. Die Narrativität, die diese Außenaufnahmen erst hatten, wird so leider wieder aufgelöst und in die Logik eines musikalischen Gebildes gebracht.

Am Ende des dritten Stückes, das von Störgeräuschen geprägt ist, wie sie Wackelkontakte in Lautsprecherkabel verursachen, tauchen Stimmen noch einmal kurz auf. Das deutliche, aber verhaltene Lachen und Rufen von Kindern macht nach dem Verlauf dieser Platte einen eigentümlichen Eindruck. Es klingt, als sollte ein Blick aus dem Fenster bestätigen, was vorher nur als leise Ahnung immer mal wieder in die Klänge einfloß: daß es etwas draußen gibt, Menschen womöglich.

Tortoise ist mit Indicate vergleichbar, weil die Geschichte der Band ebenso mit der Annäherung verschiedener Musiken zu tun hat. Die Mitglieder sind oder waren involviert in Projekte wie Bastro, Tar Babies, Eleventh Dream Day, Stereolab. Allesamt Gruppen, die zwar zur Historie der Indiemusik gehören, aber nicht ständig das Süppchen der Rockmusik nach überlieferten Rezepten aufgekocht haben.

„Millions now living...“ stellt einen ersten Höhepunkt dieser Entwicklung dar. Das 20minütige Eröffnungsstück „Djed“ spannt den Bogen über unterschiedliche Genres, zu denen man Easy Listening und Dub genauso assoziieren kann wie den Gedanken, daß „Der Kontrakt des Zeichners“ noch immer der beste Film Greenaways ist, weil die Musik von Michael Nyman darin eine wichtige Rolle spielt. Verbunden werden die diversen musikalischen Bereiche durch eine Produktionsweise, in der das Anwenden neuester Technologie als eigenes Thema deutlich wird.

Die dann folgenden fünf Stücke scheinen eine Analyse dessen zu sein, was in „Djed“ synthetisiert wurde. Der Elegie wie dem treibenden Beat, dem elektronischen Experiment wie der Etüde für Baßgitarre wird hier ein eigener Raum geschaffen. Indem die Zutaten der ganzen Platte derart miteinander in Beziehung gesetzt werden, machen Tortoise, die in Chicago ansässig sind, die Vorläufigkeit des Endergebnisses deutlich: Man hätte alles anders zusammensetzen und dann andere Dinge aus dem Konglomerat wiederbenutzen können. Eine Arbeitsweise, auf die schon ihre letztjährige LP hinwies, die Remixe von Stücken ihres Debütalbums von 1994 enthielt. Einer dieser Remixe, der leiseste, stammt übrigens von Jim O'Rourke. Martin Pesch

Indicate: „Whelm“ (Touch/ Semaphore).

Tortoise: „Millions Now Living Will Never Die“ (City Slang/ Efa)

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