Zwischen den Rillen: ... oder rufen Sie die Auskunft an
■ Synthetische Storyteller: Verquirltes mit DJ Spooky und DJ Shadow
HipHop und Konzeptkunst – geht das zusammen? Welchen Groove kriegen McLuhan, Deleuze/Guattari und Susan Sontag, vorausgesetzt, man hat ihre Werke kenntnisreich miteinander verquirlt? Ein Mann gibt Antworten. Er schuftet wie verrückt am eigenen Hype, der sich aus einer in New Yorker East- Village-Parties destillierten Theorie des Mix speist. „Gimme two records and I'll make you a universe“, ist nur der verbale Appetizer für seine Theorie-Bricolage, die er auf CD, im Science- fiction-Roman, als Autor für Village Voice und Artforum und im Ambiente von Kunsträumen ausstellt. Paul Miller ist 25, Underground-Akteur mit HipHop-Background und erzählt als DJ Spooky (That Subliminal Kid) Geschichten mit montierten Beats, Loops und Noises – der „invisible language of our time“, wie er im Booklet seiner Debüt-CD „Songs Of A Dead Dreamer“ schreibt.
Spooky erarbeitet eine Art Kartographie urbanen Chaos aus der Luftperspektive, in der Straßengeräusche und Elektrofiepen mit Partikeln aus Ambient, Dub, Jungle, World Music, „Galactic-Funk“ (Songtitel) und vor allen Dingen HipHop kombiniert werden – wobei HipHop hier eher wie totes Tier riecht.
Für den Überbau ist das umfangreiche CD-Booklet zuständig. Bei Spooky wird der DJ als Kustos hörbarer Historie glorifiziert, der „Analyse und Extension von Gefühlen“ (Susan Sontag) betreibt: ein ordentlich abgehangener Ansatz also. Dem Mix kommt dann die Rolle eines transzendierenden Mediums zu, das verschiedene Sprachen, Texte und Sounds zu einer semiotisch neuen Information zusammensetzt. Ganz ähnlich verfährt Spooky auch mit den Texten im Booklet: Er sampelt Passagen aus Deleuze/Guattaris Nomadologie und Francis Bacons „New Atlantis“ und remixt sie mit seinem eigenen Urschrei – „Boo!“
Ein Konzept, das besonders in jenen kunstfernen HipHop- Communities ohne Feedback bleibt, die auf die Renaissance von „Old School“ und Roots setzen. Doch HipHop als HipHop (das Kommunikationsmedium der Straße und Pop- Charts) interessiert Spooky sowieso nicht. Er operiert als „synthetische Persönlichkeit“ in einer selbstgeschaffenen „invisible city“, deren Dynamik einem jugendkulturinduzierten rapiden Wandel folgt. Seine Beiträge für Sampler wie „Valis- Deconstruction Of Syntax“ oder jüngst „Electric Ladyland III“, die Arbeiten für Bill Laswell und die aktuelle CD markieren kurzzeitig aktuelle Beiträge inmitten dieses Wandels, plaziert in kaum zusammenhängenden Alternative-Music-Zirkeln. „Songs Of A Dead Dreamer“ etwa ist auf dem New Yorker Asphodel-Label erschienen, das letztes Jahr den zweiten „Incredibly Strange Music“- Sampler veröffentlichte, eine Sammlung recht bizarren Kulturguts aus der Oldiekiste der 50er und 60er.
Auch DJ Shadow aka Josh Davis, beheimatet in Davis, California, ist ein HipHop-DJ, auch er hat sein Debütalbum aufgenommen. Und auch er gibt dem Hörer mehr als nur ein paar gute Worte mit auf seinem Album „Endtroducing...“. Doch wo Spooky die Abstraktion sucht (Cover, Beats, Bezüge), geht Shadow ganz nah ans Untersuchungsgebiet, vergrößert es quasi mit der Lupe: Das Cover gibt den Blick frei in die schier endlose Regalpracht eines von oben bis unten vollgequetschten Record-Shops, dazu ein Schwarzer in Kapuzenjacke, in einer Kiste grabbelnd. Doch ein HipHop-Lebenszeichen?
Auskunft gibt Shadow ex cathedra im CD-Inlet: „HipHop ist eine der konservativsten Musikformen geworden, die zur Zeit existieren.“ Die Zukunft sucht er im „extremen Experiment“. Weit ausführlichere Informationen zum Thema sind den diversen Schichten der 12 Tracks auf der CD eingelagert. Sie „erzählen“ auf vorherrschend instrumentaler Basis, welche Pforten sich öffnen, wenn man den Status quo aufsprengt, die Grenzen des Genres in Frage stellt. Im „Number Song“ zerreißt ein bläserstarkes Funk-Break einen gehämmerten Beat, den jeder DJ gut und gerne mit Iggy Pops „Lust For Life“ mixen könnte. Die Fortsetzung gibt's ein paar Nummern später („Mutual Slump“) mit Gitarren- und Noise-Sample, für ein paar Sekunden ohrenbetäubend in den Vordergrund gezogen, wieder gebreakt, bald von Scratches durchlöchert. Eine Art Punkrock-Version von Afrika Bambaataa. Shadows Sample-Spektrum für seinen Rough-Mix ist gefährlich groß (Violine!), seine an Größen wie Prince Paul geschulte Technik erlaubt ihm aber, supersmoothen Soul mit erheblichem Krach zu brechen und noch eine Gesangsspur drüberzulegen, ohne nur einmal mit der Wimper für die Kunstschickeria zu zucken.
Bei Spooky und Shadow ist HipHop keine schwarze Jugendkultur mehr, keine verbale Sinn- und Wissensstiftung für die Community. Nach der sprachlichen Befreiung via Rap steht nun die semiotische Emanzipation des HipHop auf der Tagesordnung. Zwei DJs und zwei seitenstarke Auskunftsbücher über die Möglichkeiten von Sample und Loop als gute amerikanische Storyteller. Frank Sawatzki
DJ Spooky: „Songs Of A Dead Dreamer“ (Asphodel/EFA)
DJ Shadow: „Endtroducing ...“ (Mo Was/Public Propaganda)
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