Zwischen den Rillen: Milchkaffee in Düsseldorf
■ Männer, Frauen und alles Drumrum: Mary J. Blige und Erykah Badu werden als Heldinnen der HipHop-Ballade gefeiert. Trotzdem hat die Frau im R'n'B in einer ganz engen Schublade Platz
Monarchie und Alltag: Die umtriebigste Repräsentantin der Eastcoast-Dynastie in Sachen HipHop ist zweifelsohne Mary J. Blige. Keine Party, keine Wohltätigkeitsveranstaltung, kein Konzert ohne „Mary“, wie sie das Sprachrohr des Königshauses, der New Yorker Radiosender Hot 97 in schöner Regelmäßigkeit ankündigt.
Karten für derartige Happenings gibt es dort täglich zu gewinnen. Der Clou bei der Sache ist, die Stars exklusiv im Backstage- Bereich oder der VIP-Lounge zu erleben. Ganz privat sozusagen. Am nächsten Tag berichten dann die Gewinner von einem Plausch mit Haus-DJ Funkmaster Flex, einem Küßchen von Rapperin Foxy Brown und immer wieder von „Mary“. Sie sei so freundlich, so elegant, so sexy, so natürlich...
Gut gemacht, denn viel Platz für die Entwicklung eines facettenreichen, weiblichen HipHop- Charakters bleibt auch im großen New York nicht. Im Angebot sind derzeit vor allem die Geschmacksrichtungen „süß und verwöhnt“ mit Foxy Brown, „sexy und verdorben“ mit Lil' Kim oder „verläßliche Old School-Sister“ mit Salt'n Pepper und MC Lyte. Übrig bleibt die mondäne Frau in Gestalt von Mary J. Blige, die alles ganz genau weiß. Sie ist diejenige, die alles erlebt hat und trotzdem noch die richtigen Klamotten trägt, die Beziehungen und Beziehungsstreß mitmacht, aber dabei nie mitgenommen wirkt.
„Share My World“ – schon der Titel des neuen Albums geht großzügig an alle da draußen, eine Einladung, sich die Welt der Blige anzuhören, in der nicht viel mehr passiert als Liebe und Trennung und was so dazugehört. Richtig bösartig oder wild geht es dabei nicht zu, denn über allen gesungenen Szenarien schwebt in glücklicher Weise wachsam der liebe Gott, der seiner Tochter Mary J. Blige besonders hold ist. So hold, daß sie sich (ein bißchen spät vielleicht) in Stück Nummer neun bei ihm bedankt: „Thank You Lord“.
Die einzelnen Stücke sind, um mal die gängige Eastcoast-Terminologie zu erweitern, ausnahmsweise nicht fett, sondern breit. Will sagen, daß auf „Share My World“ jedes Stück davon lebt, daß alle technik- und menschenmöglichen Anstrengungen unternommen worden sind, um den Sound mellow, smooth und clear zu machen: Engelsgleiche Background-Chöre, Glocken und wohlklingende Dreiklänge können Räume ungeahnten Ausmaßes füllen.
Das alles geht ja prinzipiell okay, denn davon erzählen R'n'B und Soul schon länger erfolgreich: Männer, Frauen und der ganze schöne Schmonzes drumherum. Doch warum nennt die Plattenfirma die neuen Stücke von Mary J. Blige „HipHop- Balladen“? Warum wird Mary J. Blige seitenlang popjournalistisch abgehandelt und Toni Braxton nicht?
Die Antwort heißt HipHop, auf „Share My World“ repräsentiert durch die Gästeliste mit Allstars wie Nas, Redman und Lil' Kim, die angeblich die Street in den Soul tun. Kein Mensch erwähnt Mary J. Blige, ohne nicht sofort auch noch möglichst viele andere, räudigere Kollegen zu zitieren. Klar, das Leben ist eine Kooperation. Aber „Share My World“ handelt im Grunde eher von der bligeschen Kooperation mit R'n'B-Produzenten wie Babyface, R. Kelly und Jimmy Jam – und hört sich auch so und nur so an.
Da hierzulande die nächste Trendlawine R'n'B schon kräftig grummelt, aber noch niemand so richtig sagen kann, warum gerade das jetzt der neueste Hit sein soll, beruft man sich sicherheitshalber auf HipHop-Stars, deren Coolness popamtlich besiegelt ist. So lassen sich Fehler vermeiden. Oder eben nicht.
Denn statt immer wieder den besonders neuartigen Ansatz von R'n'B-SängerInnen hervorzuheben, sich RapperInnen einzuladen, ist es doch eher so, daß im Jahre eins nach Gangsta-Rap vielen HipHop-Leuten keine andere Wahl bleibt, als in Umschulung zu gehen. Was nicht heißt, daß bei dem ganzen netten Softkram, der in letzter Zeit aus den USA so rüberschwappt, es nicht nötig wäre, sich mal ein paar Gedanken zu machen.
Viele Aspekte sind ungeklärt und berühren, genau wie die dazugehörigen Texte, vor allem das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Und das riecht gelegentlich sehr, sehr konventionell. Noch weiß niemand, ob man bei den Texten weg- oder hinhören soll. Mary J. Blige erzählt in ihrem Hit „Not Gon Cry“ zum Beispiel folgende Geschichte: „I was your lover and your secretary for eleven years ... Eleven years of sacrifice... Beside the kids I have nothing to show.“ Ist das nun der moderne Blues, Reim auf die realen Verhältnisse, fieser Quatsch oder egal? Wird noch drüber zu reden sein.
Erykah Badu, die im Fahrwasser von Mary J. Blige hinterhergeschickt wird, plätschert auch so schön soft dahin. Traurig, aber real, daß die Frau im R'n'B in einer ganz engen Schublade Platz hat. Erykah Badu soll erdverbunden sein, bindet sich Tücher um den Kopf und singt modernen, altmodischen Blues in klassischer Instrumentierung und mit tiefer Stimme.
Das sieht nach Benetton-Ethno-Reklame aus und schmeckt nach Milchkaffee in Düsseldorf. Hört sich dafür wirklich ganz schön an. Musik zum Brunch: Außen knusprig, innen soft, so unersetzlich wie ein gutes Croissant. Heike Blümner
Mary J. Blige: „Share My World“
Erykah Bau „Baduizm“ (beide Universal)
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