Zwischen den Rillen: Depression de Luxe
■ Rufer in der amerikanischen Wüste: Hazeldine, Mark Eitzel, Tarnation
Es war gewöhnungsbedürftig genug, daß Frauen sich beim Pinkeln nicht mehr hinsetzten, aber ein paar Dinge hätten sie uns überlassen können. Hazeldine, bestehend aus drei Frauen und einen Mann, der sehr zurückhaltendes Trommeln beiträgt, übernehmen mit ihrem Debüt „How Bees Fly“ eines der letzten Jungsrefugien, den Wüstenrock.
Das ist frech, aber hört sich zum Weinen schön an. Und zum Weinen ist auch oft genug den Frauen aus den Liedern der Band aus Albuquerque/New Mexico zumute. Mal sind sie „Allergic To Love“, mal warten sie auf die Postkarte, die nicht kommen will. Einsam und verlassen ertrinken sie im Selbstmitleid, wie es bisher nur Männer wagten. Und dazu jammern die Gitarren und flirren so verzerrt wie die Sonne über einem Highway, der sich im CD-Inlet am Horizont verliert. Aber während die Männer genau diesen Highway einschlugen, um sich möglichst schnell und weit von der unglückseligen Liebe zu
entfernen, warten Hazeldine gemütlich und selbstsicher auf der Couch, weil sie genau wissen, daß der Männerwurm schon wieder angekrochen kommen wird: „You come back to me, turn off my TV, hold me close and fuck me like Batman.“
Wenn Bands wie L7 mit aggressiver Sexualitat in gewisser Weise nur männlichen Chauvinismus umkehrten, sind Hazeldine einen Entwicklungsschritt weiter, reagieren auf das neue weibliche Selbstbewußtsein, indem sie den emanzipiert bewegten Mann ins weibliche Koordinatensystem transferieren. Der Rest sind Melodien, die Steine zum Schmelzen bringen, Gitarren, die mit „verführerisch“ nur annähernd beschrieben sind, und Harmoniegesänge, auf die die Byrds stolz gewesen wären. Entscheidend bleiben aber bei aller Sanftheit die Punkattitüde und die Fähigkeit, die Kurve zu kriegen, kurz bevor die Melancholie in verlogene Authentizität abstürzt.
Ungefähr also die Kunst, die Mark Eitzel über die Jahre zu – im wahrsten Sinne des Wortes – einsamer Meisterschaft getrieben hat. Im Gegensatz zu Hazeldine lebte Eitzel als Vorsinger des American Music Club allerdings von der Chimäre Authentizitat und betrieb öffentlich die Verarbeitung seiner Alkoholsucht. Mehr als ein Jahrzehnt dauerte der Versuch, seine Klagegesänge so lange auf das Wesentliche zu reduzieren, bis teilweise Rhythmus und Begleitband verschwanden. Konsequenterweise hat er den Club inzwischen aufgelöst und mit „West“ die erste Platte unter eigenem Namen veröffentlicht. Unterstützt wurde er dabei von R.E.M.-Gitarrist Peter Buck, dessen Hobbyband Tuatara und einigen anderen Prominenten von Pearl Jam, Young Fresh Fellows und Los Lobos. Was viel darüber aussagt, welche Bedeutung der Mann für den US- Underground hatte, auch wenn die Platten des Music Club immerzu so bleischwer in den Regalen hingen, wie sich seine Balladen anhörten.
Die freundliche Kollegenanerkennung scheint Eitzel von seinen Depressionen abgelenkt zu haben. Es gibt zwar immer noch die schwermütigen Kaffeesatzgrübeleien, in deren Verlauf resigniert festgestellt wird: „If you have to ask, then you'll never know.“ Aber die Platte ist vollgestopft mit Marimbas, Vibraphonen und anderen Fröhlichkeiten, und wenn das Saxophon einsetzt, wirkt es in seiner manirierten Jazzigkeit reichlich fehl am Platz. „West“ ist eine schöne Platte, eine zu schöne Platte, zu sehr Depression de Luxe, als würde Sade plötzlich Folkrock machen.
Ähnliches ließe sich auch über Tarnation zu Protokoll geben, wäre die Musik der Band aus San Francisco nicht von vornherein artifizieller angelegt. Dafür hauptverantwortlich ist Paula Frazers Gesang, der sich immer wieder in Windungen emporschraubt, die der trockenen Reduktion anderer Countryrock-Entwürfe diametral gegenüberstehen. Tarnation gehen den umgekehrten Weg als etwa die Cowboy Junkies oder auch Country-Urahn Johnny Cash, lassen Gitarren in fast südamerikanischer Lieblichkeit plinkern, während Frazers Stimme ausprobiert, was aus diesen vom Prinzip her sehr einfachen Melodien alles rauszuholen ist.
Frazer hat die Band nach ihrer letzten Platte „Gentle Creatures“ völlig ausgetauscht und sich dadurch musikalisch etwas von den Countryvorgaben entfernt. Auf „Mirador“ ist sie Nick Cave, einem ihrer erklärten Favoriten, nähergerückt, hat das Tempo leicht erhöht und läßt die Gitarren fast hypnotisch kreiseln. Sie selbst hat das „American Gothic“ getauft. Aus Songs werden Soundtracks, deren beherrschendes Thema zwar auch die Einsamkeit ist, aber im Gegensatz zu den selbstsicheren Praktikern von Hazeldine wählt Frazer einen Ausweg im Sinne des Berufspessimisten Cave.
Immer wieder taucht in Frazers Songs die Prärie auf als ein Ort, der zugleich Weite und Schutz bietet, ein Ort, der konkret ist und doch so leer, daß er Projektionsfläche für alle Wünsche abgeben kann. Wenn Hazeldine Dr. Sommer sind, dann nimmt dir Paula Frazer in der Kirche deines Vertrauens die Beichte ab. Und Tarnation beschallen die Gottesdienste. Thomas Winkler
Hazeldine: „How Bees Fly“ (Glitterhouse/EFA)
Mark Eitzel: „West“ (WEA)
Tarnation: „Mirador“ (4AD/ Rough Trade)
Konzerttermine Hazeldine: 13.6. Krefeld, 15.6. Berlin, 17.6. Duisburg, 18.6. Hamburg, 19.6. Bochum, 21.6. Beverungen
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