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Zwischen den RillenGötterbeleidigung

■ Fessel und Falle: Nachgelassenes von Tobias Gruben und Wuhling

Drei Alben, die sich nicht mehr in den üblichen Pop-Verwertungskreislauf eingliedern lassen. Sie sind Vermächtnisse, Nachlässe: Die Berliner Band Wuhling gibt es nicht mehr, Tobias Gruben ist im November letzten Jahres an einer Überdosis Heroin verstorben. Still und leise gingen diese Abschiede vor sich. Was bleibt, sind Musik und Geschichten, die von Verweigerung und glanzlosem Scheitern handeln.

Tobias Gruben hat dieses Scheitern bewußt und freiwillig in Kauf genommen. Zu sehr war er überzeugt von seinem Anspruch, Kunst und nicht bloß „populäre Musik“ zu produzieren. Gruben hat sich, wie es scheint, genau in dem Moment verweigert, in dem er anfing, ein bißchen berühmt zu werden: Er war von 1988 bis 1990 Sänger und Texter der Hamburger Band Die Erde, die seinerzeit immerhin mit den Einstürzenden Neubauten tourte und mit „Party“ und „Lebe den Lebenden“ Underground-Hits hatte, die man auch und vor allem in England feierte. Ende 1990 aber löste sich Die Erde auf.

Aufschluß über diese Trennung gibt die ausführliche Widmung, die Tobias Levin geschrieben hat. Levin war selbst Gitarrist bei Die Erde, und er gehört mit seiner Band Cpt. Kirk & zur Hamburger Diskurs- Pop-Szene. Tobias Gruben konnte mit dieser nur wenig anfangen, „er kritisierte“, wie Levin schreibt, „die politisierenden Gesten seiner Protagonisten als antikünstlerisch und selbstherrlich“. Levin wurde nach der Bandtrennung eine Art Popstar (wie überhaupt die gesamte Hamburger Szene), Horst Peterson, ein anderes Bandmitglied von Die Erde, machte HipHop, und Gruben setzte seine Vorstellungen von Text, Musik und Kunst allein und in diversen Projekten um, rief jedoch nie mehr ein öffentliches Interesse in dem Maß hervor, wie es Die Erde tat.

Dem Lauf der Dinge im Verwertungszyklus Pop hat Gruben sich verweigert, von „Diskursfähigkeit“ wollte er nichts wissen — folglich schlug er in seinen Songs schwer mit der Lyrikfaust um sich. Von dem Pathos und Bombast, der seiner Band in Wort und Sound zu eigen war, wollte Gruben vor allem textlich nicht abweichen: „schollennahe“, „erdige“ Lyrics, über die Liebe und das Leben, über erste und letzte Dinge; Lyrics, die oft grauslig und peinlich bedeutungsschwanger rüberkommen: „Der Winter ist kalt, der Schnee ist schon geschnitten, das Jahr ist alt, bald hat es ausgelitten“, heißt es in „Winter“, einem Song von 1995; oder, in „Abstand“, aus demselben Jahr: „Freigang – zwischen Mauer und Zelle, Durchgang – zwischen Himmel und Hölle, Untergang – zwischen Fessel und Falle“.

Und trotzdem sprechen Grubens Lieder an: durch seine klare, mächtige und immer ein wenig Tragik verbreitende Stimme. Mit ihr kann man mitschwingen und mitfühlen, sie ist nah und intensiv, klingt nach und hält vor. Für Gruben war es, wie er einmal gesagt hat, „keine Peinlichkeit. Wenn du einfach genau das machst, was du willst, dann ist das gut.“

Bei Wuhling wiederum haben tausend und aber tausend Vorschußlorbeeren es nicht vermocht, das Bestehen der Band zu retten. Jahrelang war Wuhling die Hoffnungsträgerin in einer trübe vor sich hin vegetierenden Berliner Gitarrenmusik- Szene – allein wegen ihrer furiosen Live-Auftritte. Des öfteren beschlich einen das Gefühl, daß Wuhling in der Tat schnell wieder verglühen könnten, wenn nicht bald mal Musik auf einem Tonträger erscheinen würde. Wie Götterbeleidigung wirkte das.

Getrennt haben sie sich dann aus vielerlei Gründen. Gescheitert sind sie, ohne daß über Wohl und Wehe der Band jemals auch an der WOM-Kasse plebiszitär hätte entschieden werden können. Und so hat man jetzt die ungewöhnliche Konstellation, das Gesamtwerk einer Band ein Jahr nach ihrer Auflösung nachgereicht zu bekommen: das Album „Spacebeige“, das schon 1995 eingespielt wurde, und „Extra 6“, das mit Steve Albini in Chicago aufgenommen wurde.

The next big thing wären sie aller Wahrscheinlichkeit damit nicht geworden, aber, wie die Plattenfirma in ihrem Info schreibt, sie hätten mit ihren Alben einen „Spitzenplatz in der kleinen, schlaueren Musiklandschaft verdient“. Allzuwenig hatten Wuhling im Sinn mit dem Entwurf eines simplen Rockformats, auf das sich alle hätten einigen können. Gitarren, die mal treibend sind, dann wieder bewußt ins Stolpern geraten, und dann diese hohe, fragile Stimme von Anne Rollfs, die nicht jedermenschs Sache war und ist. Wuhlings Songs sind berechnend und unvorhersehbar zugleich und spielen auf der gesamten Gefühlstastatur von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt.

Das Ende einer Band ist etwas anderes als das Ende eines Lebens. Doch mehr als „Pop“ machen wollte Tobias Gruben ebenso wie die Leute von Wuhling. Auf ihren Platten horcht man unwillkürlich auf den Moment, in dem sie die Hauptstraße verließen. Gerrit Bartels

Tobias Gruben: „Die Erde“ (What's So Funny About)

Wuhling: „Spacebeige“; „Extra 6“ (City Slang/Efa)

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