Zwischen den Rillen: Superstar Normalverbraucher
■ Wieviel Elektronik verträgt das Rockmobil? Im Test: Rolling Stones und R.E.M.
Welcome to the machine: R.E.M. machen auf Abb.: Cover
Superstars ham's auch nicht leicht. Die zweistelligen Millionen-Dollar-Beträge, die im Pop bei Spitzendeals für eine bloße Handvoll Alben heute üblich sind, wollen sauer verdient sein. Selbst von Bands wie R.E.M. und den Rolling Stones, den Supergruppen ihrer jeweiligen Generationen, die ihre Vertragsschuld im diesjährigen Weihnachtsgeschäft abtragen.
Jagger, Richards & Co sind berüchtigt dafür, ihre Deals mit hitstrotzenden Best-of-Zusammenstellungen – in Original- wie Live-Versionen – zu erfüllen. Das mag ihrer Firma Virgin womöglich sogar genehmer sein als Novitäten ohne den Goldglanz der frühen Evergreens. Die notwendige Neupositionierung am Markt gingen die Stones mit Konzertmitschnitten wie dem Unplugged-Album „Stripped“ an. Und nun eben mit „No Security“, einer Versammlung von Stücken, die mit Ausnahme von „The Last Time“ und „Live With Me“ – die bereits ihren Weg auf „Got live if you want it!“ (1966) und „Get yer Ya-Yas out!“ (1969) gefunden hatten – noch auf keinem ihrer bisherigen acht Live- Alben zu haben waren.
Natürlich hat man alles schon mehrmals und dann auch zu exakt genau im hier präsentierten Gewand gehört. Nur einmal nicht: Während sich Dave Matthews als Zweitsänger auf „Memory Motel“ den Gastgebern bis zur Überflüssigkeit angleicht, führt Taj Mahal sie mit seiner Komposition „Corinna“ über sich selbst hinaus. Delikat stolpert die Band durch Mahals lockeren Reggae, bärbeißig grollend entreißt der Komponist selbst den Stones'schen Rhythm'n'Blues für einen Moment der routinierten Show.
Daß das alles einmal anders war, blitzt kurz bei „Sister Morphine“ auf, ein Wiederhören mit Stimmungen von Vergänglichkeit, Drogen, Schmerz. Etwas davon hat sich in Keith Richards' Solostück „Thief in the Night“ erhalten, der Rest ist Gefangensein in Rock'n'Roll-Routine.
Einer Routine, wie sie auch R.E.M. blüht, den Nachfolgern der Rolling Stones als Supergruppe für die Generation der zwanzig Jahre Jüngeren. Brachten jene das Lebensgefühl der studentischen Rock'n'Roller der Sechziger und Siebziger mit hedonistischem Rhythm'n'Blues auf den Punkt, so R.E.M. das der Achtziger und Neunziger mit grüblerischem Alternative Rock; verkörperte der hyperaktive Mick Jagger das Nichts-auslassen-Wollen der sexuellen Revolution, so der zurückhaltende Michael Stipe den Rückzug in eine mönchsähnliche Erotik im Kopf qua Aids.
Vom Zwang, mit immer neuen Alben am Ball zu bleiben, befreit Stipe und seine Band allerdings auch die Tatsache nicht, daß sie gleichsam als verkopfte Antithese der durch und durch motorischen Stones daherkommen. Auch R.E.M. haben ihre Verpflichtungen, gerade in schwierigen Situationen wie der jetzigen, wo sie nach dem Ausstieg ihres Drummers Bill Berry eine neue Bandchemie finden mußten – und siehe: Plötzlich war auch der oft und gern gesprochene Satz, daß sie sich auflösen würden, sobald sich eines ihrer Mitglieder davonmache, Makulatur.
Was durchaus für Stipe, Peter Buck und Mike Mills sprechen soll. Ebenso wie die Tatsache, daß sie es sich weder mit Live- Alben leichtmachen (bisher noch gar keines) noch sich im immer gleichen Stil einzurichten gedenken. So ist „Up“ denn auch nicht nur wegen der Abwesenheit Berrys, sondern auch wegen seiner stilistischen Öffnung in mehr als nur eine Richtung – sei es aus Absicht, sei es aus purer Not – ein Aufbruch in ein neues Kapitel R.E.M.
Hervorstechendstes Merkmal dieser Öffnung: Maschinen haben im Herzen des Gitarrenrocks einen Teil der instrumentalen Macht übernommen, Drumcomputer, natürlich, aber auch Keyboards und Sampler. Und sie bewirken genau, was man beim gebetsmühlenhaft wiederholten Bekenntnis Stipes zu mehr Menschlichkeit und Gefühl auch erwartet hat: noch verletzlicher, noch provisorischer und noch spiritueller, als man es von R.E.M. ohnehin gewohnt ist, kommen die Titel auf „Up“ daher.
Und stilistisch noch vielschichtiger. Beziehungsweise uneinheitlicher, je nach Präferenz. Immerhin zeugt es von Mut, wie die Band in der Phase des Umbruchs lieber gleich den Beatles Referenz erweist, den Beach Boys oder Leonard Cohen, dessen „Suzanne“ „Up“ kaum geschminkt als „Hope“ zu Gehör bringt. Und es zeugt auch von Mut, vom Beispiel Rolling Stones zu lernen und, statt sich ohne Blick zurück von den Arbeiter- oder Mittelklasse-Wurzeln in die High-Society zu verabschieden, immer schön Otto Normalverbraucher im Blick zu behalten: den „Airportman“ im Opener wie den Nachtarbeiter in der Single-Auskopplung „Daysleeper“.
Ob das abenteuerliche Sammelsurium „Up“ vor der Geschichte bestehen wird, muß die Zeit zeigen, die bei den Stones längst für Aufklärung gesorgt hat: Auch Glimmer Twins und Mannen hatten mit „Undercover“ synthetischen Produktionsweisen und Stilen geflirtet. Das hatte aufregend gewirkt, mutig und taktisch klug. Geblieben ist davon – nichts. Christian Bech
The Rolling Stones: „No Security“ (Virgin)
R.E.M.: „Up“ (WEA)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen