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Zwischen den RillenJenseits der Zukunft

■ Drum'n'Bass nach den großen Revolutionen: 4 Hero und Ed Rush & Optical revisited

Drum 'n' Bass hat es nicht einfach dieser Tage. Jahrelang war es als das Genre bekannt, das sich alle paar Monate neu erfindet. So redeten die Produzenten, die so zukunftsträchtige Musik machten, daß sie es sich sogar leisten konnten, ständig die Musik wieder einfließen zu lassen, mit der sie aufgewachsen waren. Kurz: Drum 'n' Bass war neu und aufregend, es gab sich nicht nur als Musik der Zukunft, für viele hörte es sich auch so an.

Seit einiger Zeit läuft der Motor allerdings nicht mehr ganz so rund. Das Genre hat, wie alle anderen Musikstile, seine rund vier Revolutionen hinter sich gebracht, seine Stars produziert und auf den Markt geworfen und — es ist nicht mehr der letzte Schrei. Für eine Musik, die immer davon lebte, den anderen viereinhalb Schritte voraus zu sein, ist das ein harter Schlag. Was also tun? Die beiden Londonder Produzenten Ed Rush und Optical versuchen, den Ball flach zu halten: Sie loten die internen Möglichkeiten des Genres weiter aus.

Ed Rush und sein Label No- U-Turn hatten vor drei Jahren Techstep eingeführt, die Motörhead-Version von Drum'n'Bass. Knallend-technoide Drums und darüber unglaublich hypnotische Würgebässe. Diese neue Härte war in der Mischung aus postpubertärem Jungsgehopse und Modernisierungsverlierer- Rage einen Winter und einen Sommer lang der dominierende Sound vieler Tanzflächen. Ed Rush selbst wurde einer der meistgebuchten DJs und verkündete die düstere Botschaft, wo immer er konnte. Dann landete No-U-Turn in der Auslaufrille. Optical produzierte im vergangenen Jahr die Platte des DJ-Großmeisters Grooverider und hatte somit seine Hand direkt auf der Plattentasche desjenigen, der bestimmt, was läuft.

Nun haben sich die beiden zusammengetan und ein neues Label an den Start gebracht: Virus. Nach einigen Maxis kommt jetzt gleich der große Wurf in Form einer 5-EP-Box beziehungsweise einer Doppel-CD. Von der offensichtlichen Härte haben sie sich verabschiedet, zugunsten ausgefeilterer und sophisticated geschichteter Klänge. Das brummt zwar noch ordentlich, und Weicheierei wird den beiden keiner vorwerfen, aber trotzdem — wer mit der Virus-Box Aliens tothauen möchte, wird seine Schwierigkeiten haben.

4 Hero gehen einen anderen Weg: Sie versuchen das Genre zu öffnen. Sind normalerweise Drum-'n'-Bass-Produzenten gerngesehene Remixer für so gut wie jedes andere Genre, luden die beiden Macher des Reinforced-Labels aus allen möglichen musikalischen Nachbarreichen Produzenten ein, um sich die Tracks der Platte „Two Pages“ vom vergangenen Sommer vorzunehmen. Und das macht durchaus Sinn, denn 4 Hero gehören selbst zu den vielseitigsten Produzenten des Drum'n'Bass. Seit den Anfangstagen sind sie dabei und haben unter diversen Pseudonymen schon verschiedenste Platten in die Umlaufbahn geschossen. „Two Pages“ war selbst ein Beispiel, wie offen man den Stil halten kann. Im Unterschied zu den meisten anderen Drum- 'n'-Bass-Alben hielten 4 Hero eine gelungene Balance zwischen Streichern, Gesang, Funk und Electro auf der einen Seite, und geradem Tanzflächen- Drum'n'Bass auf der anderen.

Noch vielseitiger sind die „Neubearbeitungen“: Von den Berliner Downtempo-Machern Jazzanova über den Drum-'n'-Bass-Produzenten Kirk DiGiorgio reicht die Bandbreite bis zu Rare Groove und HipHop. So präsentieren diese Neubearbeitungen einen Querschnitt durch das, was anscheinend in London gerade so geht. Das ist zwar nicht die reine Lehre, hält aber fast durchweg das Niveau der Vorlagen. Tobias Rapp

Ed Rush & Optical present Virus (Virus/NTT)

4 Hero: Two Pages Reinterpretations (Talkin' Loud/Motor)

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