Zwischen den Rillen: Die letzte Ostband: Keimzeit brechen auf zu neuen Ufern
Zwei Schritte vor, drei zurück
Es war einmal eine Band, die sich weniger aus Prinzip, sondern eher aus Trägheit dem neuen Land und seinen Marktgesetzen widersetzte und genau deshalb wie keine andere zum Identifikationspunkt für Ostdeutsche wurde. Keimzeit entwickelten sich mit wenigen Platten und ständigen Tourneen zu einer Band, für die das Wort „Kult“ unbedingt noch ein letztes Mal aus der Tabukiste ausgemottet werden muss. Die Familienband mit drei Brüdern in der Besetzung wuchs zur allumfassenden Familie, die in der Symbiose aus Band, Umfeld und den in Scharen hinterher reisenden Fans perfektioniert wurde, bis man sich schließlich selbst „eine Ostband“ nannte.
Spätestens nun aber, mit dem sechsten Studioalbum „Smart und gelassen warten“, soll doch endlich das Einzugsgebiet erweitert werden. In den letzten Jahren hat man sich auch in Westdeutschland eine kleine Fangemeinde erspielt, gibt ab und zu auch mal ein Interview und tritt selten im Fernsehen auf. Das brachte das vorhergehende Album „Im elektromagnetischen Feld“ vor zwei Jahren immerhin bis in die Charts; die aktuelle Tournee führt das Sextett aus dem brandenburgischen Belzig nun erstmals nach Österreich und in die Schweiz.
So ist es nicht mehr nur allein der Ost-Blues, der hier gespielt wird, eher vielleicht der Soul des hoffnungslosen Hängers. Früher drückte sich das nasale Organ von Sänger, Gitarrist und Songschreiber Norbert Leisegang in schöner DDR-Tradition um klare Aussagen, weil nur erlaubt war, zwischen den Zeilen zu lesen. Inzwischen spricht Leisegang zwar von sich und seinen Lebensumständen, von Liebschaften und vom Fernsehen, aber nun mündet die Unentschlossenheit des chronischen Melancholikers in eine seltsame Verweigerungshaltung, die keine politische, sondern eher eine gefühlige ist. Als hätte die Unentschiedenheit des Beobachters zu einer freundlichen Teilnahmslosigkeit geführt.
So findet sich auf „Smart und gelassen warten“ denn doch wieder neuer Stoff für die eingeschworenen „Keimheads“. Ein Satz wie der Refrain zu „Berlin“ bleibt typisch für Leisegang: „Berlin, heut aus meiner Sicht, ist das Schärfste – natürlich nicht.“ Eine halbwegs eindeutige Aussage („Berlin ist das Schärfste“) wird nicht nur einmal („heut“), sondern gleich zweimal („aus meiner Sicht“) eingeschränkt und relativiert – und schließlich ganz zurückgenommen („natürlich nicht“). Zwei Schritte vor und drei zurück, Keimzeit scheinen nicht wissen zu wollen, was sie wollen, solange das Leben noch so vor sich hin tröpfelt.
Auch ansonsten scheint alles beim Alten: Norbert Leisegang näselt immer noch um seine Polypen herum, anstatt zu singen, und die Band liefert dazu einen vorsichtig getupften Teppich aus mittelschnellem Rock, leise gezupftem Folk und angejazztem Gedudel. Das ist Musik, die nicht selbstbewusst ist, sondern leise und sympathisch, die sich leicht geduckt entlangschlawinert, die voller Understatement nicht viel verspricht und ein wenig mehr hält. Musik, in die man nicht reingezogen wird, die man aber besuchen kann, weil sie bequem und flauschig ist, und ehe man sich’s versieht, ist sie leider dann doch wieder vorbei. So funktioniert das auch auf „Smart und gelassen warten“ des öfteren ganz wundervoll, schließlich haben Keimzeit in nun 18 Jahren Bandgeschichte gelernt, diesen Schwebezustand zwischen Energie antäuschen und Doch-nie-rauslassen bis ins Letzte auszuformulieren.
Wie schon auf „Im elektromagnetischen Feld“ versuchen sie nun aber vehement ihren musikalischen Wortschatz zu erweitern, landen aber leider in Songs wie „Dein Gang“ letztlich beim Schweinerock, durch den nicht nur die gewollt hart klingenden Gitarren, sondern auch der dafür eindeutig zu dünne Gesang von Leisegang eher verloren stolpern. Dort geht dann auch endgültig der Drang zum Symbolismus mit ihm durch. Immerhin: Das Saxofon von Ralf Benschu drängelt sich mit seinen klischeehaft röhrenden Soli bei weitem nicht mehr so aufdringlich in den Vordergrund wie früher.
Es war einmal eine Band. Heute gibt es eine Band, die aufpassen muss, weiter Keimzeit zu bleiben.
THOMAS WINKLER
Keimzeit: „Smart und gelassen warten“ (K&P/ BMG)
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