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Zwischen Resignation und Kampf

Rund 70.000 Stahlwerker demonstrieren im Bonner Hofgarten – doch die Zuversicht bleibt aus/ IG-Metall-Chef Steinkühler fordert Ersatzarbeitsplätze und Stahlkonferenz  ■ Aus Bonn Walter Jakobs

„Wir haben für die jungen Kollegen Platz gemacht und jetzt will man die Jungen auch noch raushauen. Das ist eine Sauerei. Deshalb sind wir hier. Wir demonstrieren für die Zukunft unserer Kinder.“ Viel Hoffnung darauf, daß der Protest in Bonn was ändern könnte, läßt sich nicht in den Gesichtern von Erich Dorn (58) und Hermann Winter (58) ablesen.

Die beiden ehemaligen Stahlwerker von der Maxhütte im bayerischen Sulzbach-Rosenberg wissen inzwischen, was der sozial abgefederte Arbeitsplatzabbau bedeutet. Seit 1990 sind sie „Sozialpläner“. Arbeitslosigkeit schmeckt auch mit 84 Prozent des Nettolohnes versüßt immer noch bitter. Seinen noch schulpflichtigen Kindern kann Hermann Winter die mißliche Situation kaum vermitteln. „Die schämen sich, daß der Vater arbeitslos ist“. Zu dem „gewaltigen sozialen Abstieg“ kommt für Erich Dorn die stigmatisierende Behandlung bei den Behörden hinzu. „Überall mußt du Zettel ausfüllen und jetzt müssen wir auch noch monatlich beim Arbeitsamt antanzen. Das ist deprimierend“.

Die 80.000 Stahlarbeiter, so die IG-Metall-Zählung, die mit einem Meer von Transparenten gestern die Wiese des Bonner Hofgartens bevölkerten, sind gekommen, um die Politik zu bewegen, zur Rettung ihrer Arbeitsplätze aktiv zu werden. Doch die Zuversicht, daß das gelingen könnte, vermittelt die Massendemonstration nicht. Die große Mehrheit verfolgt die Reden relativ unbeteiligt. Von kämpferischer, aufrührerischer Atmosphäre ist nicht viel zu spüren. Nimmt man die Resonanz der Demonstranten als Meßlatte, dann dürfte den großen Worten von Dieter Schulte, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG-Metall, eine eher gedämpfte Praxis folgen. Schulte wörtlich: „Wer die Feuer unter den Hochöfen ausblasen will, dem machen wir ein Feuer unter dem Hintern, das er so schnell nicht vergessen wird“. Selbst die Rede des IG-Metallvorsitzenden Franz Steinkühler nahmen die Stahlwerker seltsam teilnahmslos hin. Verhaltener Beifall einerseits, vereinzelte Pfiffe und „Lügner“- Rufe aus einer Gruppe von Rheinhausener Stahlarbeitern andererseits, da sprang in keiner Richtung ein Funke über. Erst als kurz vor Schluß Wolfgang Niedecken und Zeltinger – „Arsch huh, Zäng Ussenander“ – auftreten, gibt es etwas Bewegung auf dem Platz.

Franz Steinkühler fordert erneut von der Bundesregierung die Einberufung einer nationalen Stahlkonferenz und Ersatzarbeitsplätze überall da, wo „traditionell Stahlstandorte aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht zu halten sind“.

Kati Ruhk, Auszubildende in der EKO-Stahl AG in Eisenhüttenstadt, beschreibt ihre Stimmung so: „Wer kann heute noch lachen? Ich kann es nicht mehr, schon lange nicht mehr. Mich kotzt zur Zeit alles an. Wenn ich nur alleine von der Hütte ausgehe. Es waren schon mal ca. 12.000 Arbeiter, heute sind es noch 5.200“. Aber, so fährt die 19jährige fort: „Wir werden kämpfen. Das soll sich jeder an den Hut schreiben. Wir werden kämpfen“. Mit einem ganz konkreten Vorschlag sprang die Bonner Bürgerinitiative „Bürger Bund Bonn“ den Stahlkochern bei. „Arbeitsplätze statt Berlin-Umzug“ prangte auf dem wohl größten Plakat des Tages. Auf einem Flugblatt der Bonn-Lobbyisten hieß es: „Strukturhilfen und Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und den anderen Krisenbranchen sind wichtiger als neue Regierungspaläste“.

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