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Zwischen Ratlosigkeit und Rechthaberei

Heute beginnt der Strategiekongreß der GAL-Hamburg / Realos: Endlich Koalition mit der SPD / Ökosozialisten: Wieder radikaler werden Verbesserung des Diskussionsklimas soll erreicht werden / „Antikommunistischen Schrott wegräumen“ / Konflikt um Hafenstraße  ■ Aus Hamburg Reiner Scholz

Wenn eine Partei nicht mehr weiter weiß, macht sie einen Kongreß. Unter dem beziehungsreichen Titel „GAL MACHT KRISE“ werden sich an diesem zwei Tage lang in die Hansestadt Oberstrategen und die vielbeschworenen „Basis“ zu einem Strategiekongreß zusammenfinden, der aus der allseits empfundenen politischen Lähmung herausführen soll. „Mangelnde Fähigkeit zur Selbstkritik“ und „geringe Bereitschaft zum Neubeginn“ nach der schweren Wahlniederlage vom November 1987 werden der Partei vom Landesvorstand attestiert. Der Kongreß solle nun helfen, „das Disput-Niveau wieder so zu gestalten, daß der Streit „persönlich aushaltbar wird“.

Die Beziehungen zwischen den Strömungen und unter den verschiedenen Parteiebenen, Frauen-Rathausfraktion und Landesvorstand, Zentrale und Bezirken, sind in der Tat äußerst frostig. Erst am letzten Montag gab es um den im halbjährlichen Turnus wechselnden Fraktionsvorsitz unter den Rathausfrauen einen erbitterten Streit: In einer Kampfabstimmung wurde die Ökosozialistin Anja Kuhr nur knapp gewählt, obwohl es in den letzten tagen des Hafenstraßenkonflikts fast eine Aktionseinheit zwischen beiden Flügeln gab, streiten sie sich mit erneuuter Schärfe, um die richtige Strategie, um die Antinomie zwischen milkitanz und Kompromiß. Dieser Streit setzte sich in der Auseinandersetzung um die Besetzung des von der Hamburger Bürgerschaft eingesetzten Untersuchungsausschusses zur Hafenstraße fort.

So beschäftigen sich auch die bisher vorgelegten Papiere lang und breit mit dem Thema der „Gewalt“. Das läßt die Initiatoren des Strategie-Kongreßes nun fürch ten, daß dieses Thema den aktuellen Konflikt überlagert. Sie wünschen sich eine darüber hinausgehende, grundsätzlichere Debatte über grüne Ziele und Zielgruppen sowie die inhaltliche Vorbereitung der Hamburger GALier auf den bundesweiten Grünen-Strategiekongreß im Mai. Entscheidungen wird es am Wochenende bei der GAL-Hamburg nicht geben. Für den heutigen Abend hat die Partei sich Kritiker aus dem links sozialdemokratischen Lager und von den Autonomen aufs Podium geladen, die ihr die Leviten lesen sollen.

Morgen sollen zeitgleich in verschiedenen Gruppen die Papiere der Strömungen diskutiert werden, die in ihrer Zielvorstellung von „alsbald Koalition mit der SPD anstreben“ (Realos, bundesweit „Aufbruch 88“ genannt) bis zu „Wiederannäherung an die authentische Basis“ (Ökosozialistisch) reichen, was immer das heißen mag. Die einzelnen Strömungen erwarten vom Kongreß neben einer Verbesserung des innerparteilichen Diskussionklimas auch ein Abchecken der Stärke ihrer Anhängerschaft. Dies ist vor allem wichtig in Hinblick auf die in vierzehn Tagen anstehende Neuwahl des Landesvorstands, dessen politische Zusammensetzung sich erheblich ändern dürfte. Bisher gehören 13köpfigen Gremium nur die aktivsten der Ökosozialisten an.

Für erhebliche Turbulenzen dürfte ein Papier sorgen, daß Bundesvorstandssprecher Christian Schmidt hereinreichte: Es trägt den Titel: „Erst den antikommunistischen Schrott wegräumen“ und ist eine unverhohlene Aufforderung, führende Hamburger Realo-Theoretiker wie Erwin Jurtschitsch, Paul Rieckmann und den eher „freischwebenden“ Kurt Edler aus der Partei zu schmeißen. Fundi-Schmidt sieht in ihnen die Verursacher der „internen Krise“, weil sie mit ihren öffentlichen Stalinismus-Vorwürfen gegenüber den Ökosozialisten das ehemals gute Image der Grünen durch Diffamierung „bundesweit zerstört“ hätten. Mit Ausnahme dieses heftigen Vorstoßes von außen halten sich Hamburgs bekannte Ökosozialisten, die derzeit in der Bundestagsfraktion oder im Bundesvorstand arbeiten, auffallend zurück.

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