piwik no script img

Zwischen Ernüchterung und Erneuerung

■ ÖTV-Reform im Schneckengang: Hamburgs ÖTV-Boß Rolf Fritsch ist frustriert. Dennoch: Im Rathaus wird die größte Gewerkschaft der Stadt wieder mehr beachtet. Teil III der taz-Serie über den Wandel in...

im Schneckengang: Hamburgs ÖTV-Boß Rolf Fritsch ist frustriert. Dennoch: Im Rathaus wird die größte

Gewerkschaft der Stadt wieder mehr beachtet. Teil III der taz-Serie über den Wandel in den Hamburger Gewerkschaften

„Jetzt kann ich mich nicht mehr hinter den politischen Blockaden in der ÖTV verstecken. Jetzt habe ich das Mandat. Jetzt haben wir die Mehrheit. Jetzt müssen wir beweisen, was wir können.“ Erst 15 Monate ist es her, daß der damals frisch gekürte ÖTV-Bezirkschef Rolf Fritsch der taz so mit blitzenden Augen und unverhohlenem Optimismus gegenübertrat. Sein Credo: „Wenn wir die ÖTV nicht grundlegend erneuern, sind wir in spätestens fünf Jahren weg vom Fenster. Wir können Traditionalismus nicht als Elan verkaufen. Wenn wir uns erneuern und uns neu politisieren, mit einer mittelfristig angelegten, qualitativ orientierten Politik, dann können wir die stärkste politische Kraft Hamburgs werden.“

Fritsch glaubte sich gut vorbereitet: Mit seinen Bezirksvizes Magrit Zepf und Wolfgang Rose sowie einem Bezirksvorstand, in dem erstmals die Erneuererfraktion dominierte, war der Machtwechsel an der Spitze perfekt. Und auch das Konzept stand schon: In drei Monaten, so kündigte Fritsch an, wolle er die Gewerkschaftszentrale ausgemistet und funktionsfähig gemacht haben.

Rolf Fritsch schien für diese Aufgabe wie geschaffen, vereint er doch, für einen Gewerkschafter ziemlich ungewöhnlich, den knallharten Pragmatismus eines Mannes, dem kein Gewerkschaftertrick fremd ist, mit dem konzeptionellen Anspruch eines Erneuerers, den er nicht nur als Herausgeber von Büchern zur Zukunft des öffentlichen Dienstes und zur Erneuerung der Gewerkschaften unter Beweis gestellt hat.

Heute, wirklich nur 15 Monate später, wirkt Fritsch bereits müde: „Ich bin nicht zufrieden. Wir haben die Schwierigkeit der Aufgabe total unterschätzt. Ich ziehe den Karren, aber wenn der Karren nicht will, macht man sich kaputt.“ Da ist zum Beispiel die ÖTV-Zentrale in Stuttgart. Das Trio Fritsch/Rose/ Zepf hatte in mühevoller Überzeugungsarbeit durchgesetzt, daß die Mitgliederbetreuung nicht mehr nach Tarifgebieten, „also unseren Gegnern“ gegliedert ist, sondern nach Politikfeldern. Für diese sach- und mitgliederfreundliche Dezentralisierung brauchen die neuen Abteilungen jetzt die Mitgliederkarteien in der neuen Zusammenstellung.

Die ÖTV-Zentrale in Stuttgart kommt jedoch derzeit mit Hard- und Software ihres Mitglieder- und Finanzprogramms überhaupt nicht klar, kann die entsprechenden Dateien nicht liefern. Fritsch bitter: „Die Zentrale zieht alles an sich und kriegt vieles dann überhaupt nicht auf die Reihe.“

Weit größer aber sind die Probleme im eigenen Haus. Nicht etwa, daß die 1991 abgelöste Garde der Wirtschaftswunder-Gewerkschafter böse Blockadepolitik betriebe, nein, das Problem ist schlichter, aber schwerwiegender. Fritsch: „Unser hauptamtlicher Apparat wurde nach Kriterien der 50er und 60er Jahre zusammengestellt.“ Die bisherige „Rekrutierungspraxis“ habe nicht auf jene Fähigkeiten gezielt, die jetzt für die Reform gebraucht würden. „Ein Teil unserer Hauptamtlichen“, so hat Fritsch festgestellt, „ist zu inhaltlicher Politik nicht in der Lage.“ Angesichts des nicht nur „konzeptionellen Nachholbedarfs“ seien „Personalentwicklungsplanung“ sowie ständige Fort- und Weiterbildung überfällig.

Fritsch hat den Mainstream der deutschen Gewerkschaftselite dabei auf seiner Seite. Als beispielsweise Werner Glah, Chef eines Institutes für marktwirtschaftliche Unternehmensführung, im November 1992 auf einem hochkarätig besetzten Gewerkschafter-Seminar in Bad Harzburg die These vertrat, die Gewerkschaften müßten „ihre Organisationsstruktur radikal verändern“, sonst sei „die Zukunft ohne sie“, da nickten alle klug mit den Köpfen. Dies in den Niederungen

1der Kreis- und Bezirksarbeit zu verwirklichen und zu beherzigen ist freilich ein ganz anderer Schnack.

Auch Fritsch selbst vertraut mangels Erfahrung und Alternativen und trotz moderner Technik und neuer Inhalte auf althergebrachte Methoden. Wenn er sich zu Hause an den Apple-Computer mit Word und Excel zurückzieht, kluge Diagramme, solide Gewerkschaftshaushalte und inhaltsschwere Programmatik in das Maschinchen hämmert, wundert er sich anderntags, daß er seine Umgebung damit leicht überfordert — auch die Entwicklung und Vermittlung neuer Inhalte bedarf eines neuen Instrumentariums. Hier macht sich ein weiteres Problem bemerkbar: Der Alltagstrott baggert die Spitzenfunktionäre gnadenlos zu, für wichtige Dinge, Gespräche, Management und Kontrolle von Reformschritten bleibt zu wenig Zeit. Fritsch: „Ein Job, bei dem man durch alle Niederungen geht.“

Kaum verständlich bleibt es allerdings, daß Hamburgs Erneuerergarde, obwohl in der Gewerkschaftszentrale Besenbinderhof nur durch den Fahrstuhl getrennt, so wenig zusammen anpackt. Während die Reform-Bosse bei sich den Autismus der Abteilungen beklagen, praktizieren sie ihn selbst. Von vernetztem Gewerkschaftshandeln oder gar konzertierten gewerkschaftlichen Aktionen ist in Hamburg bislang so gut wie nichts zu sehen. Fritsch räumt ein: „Das müssen wir ändern.“ Typisch ist zum Beispiel, daß sich die Nahverkehrsgewerkschafter Fritsch (HVV) und Eisenbahnerboß Norbert Hansen (Deutsche Bundesbahn) noch niemals zusammengesetzt haben.

Trotz aller Selbstkritik — einiges hat die neue ÖTV-Spitze schon auf die Beine gestellt. Da sind zunächst die inneren Reformschritte, wie etwa die Neuorganisation nach Politikbereichen oder die Dezentralisierung der Mitgliederbetreuung. Beides wird sich naturgemäß erst in den nächsten Jahren bemerkbar machen. Recht konsequent ging die ÖTV auch bei der Besetzung der ihr nach ständischem Reglement zustehenden Posten und Pöstchen vor: Sie werden neuerdings nach Fachkompetenz vergeben, oft an qualifizierte ehrenamtliche Funktionäre. Die Postenpfründe des hauptamtlichen Apparats wurde ausgedünnt.

Auf neuen Füßen steht auch das Verhältnis zum Rathaus: Die ÖTV, die mit 72000 Mitgliedern immerhin jede dritte DGB-GewerkschafterIn und mehr als fünf Prozent der Wahlberechtigten Hamburgs stellt, hat die alten Filztaue zum Rathaus gekappt. Mit selbstbewußter Interessenpolitik und knallharter Sachkompetenz will die ÖTV vom Rat-

1haus echte Problemlösungen erzwingen. Die ausgeprägte Männerfeindschaft zwischen Arbeitgeber Henning Voscherau und dem Gewerkschaftshäuptling des öffentlichen Dienstes, absolutes Novum der jüngeren Hamburger Stadtgeschichte, stört Rolf Fritsch kaum: „Ich fühle mich sehr wohl.“ Er ist sich sicher: „Unser Einfluß ist sehr groß. Man wird als ÖTV respektiert.“ Fachliche Auseinandersetzungen, bei der er „die Gegenseite auch mal in der Unterhose sieht“, gefallen ihm. Dabei ist die ÖTV erst im Kommen. In Sachen ökologischer Abfallwirtschaft schon seit langem vorlaut, will sie sich in den kommenden Monaten auch nachhaltig in die Debatten um die Verwaltungsreform, die Hafenerweiterung in Altenwerder und die Diskussion um die Zukunft der öffentlichen Unternehmen in Hamburg einmischen. Mit Magrit Zepf ist erstmals auch Frauenpolitik prominent in der ÖTV vertreten, in den Politikfeldern Gesundheit und Verkehr will man Mitglieder, Politiker und Öffentlichkeit weiter nachhaltig überraschen.

Zur „stärksten politischen Kraft“ in Hamburg ist es allerdings noch ein weiter Weg. Zwar brachte der 1992-Streik 3500 neue Mitglieder — die Mitgliederzahl ist

1aber über die letzten Jahre stabil und der Mangel aller Gewerkschaften ist auch bei der ÖTV zukunftsgefährdend spürbar: zu wenig Junge, zu wenig Frauen und zu wenige Höherqualifizierte sind organisiert. Die Visionen auf den Klappentexten von Rolf Fritschs Bü-

1chern bleiben vorerst Papier: Man stelle sich vor: Kein Stop-and-go mehr auf den Straßen — ein modernes Nahverkehrssystem hat die Pendlerströme übernommen. Die Müllberge werden abgetragen — ökologisches Recycling macht's möglich. Der Pflegenotstand ist beseitigt — ein Gesundheitssystem, in dem der Patient im Mittelpunkt steht, konnte endlich durchgesetzt werden. Schließlich: Durch den Ausbau sozialer und kultureller Dienstleistungen konnte nicht nur die Freizeitgestaltung deutlich verbessert, sondern zugleich auch die Massenarbeitslosigkeit weitgehend beseitigt werden. Und das alles ohne bürokratischen Wasserkopf, aber mit bürgernaher Verwaltung und lebendiger Demokratie. Und: „Die Gewerkschaften müssen den gesellschaftlichen Strukturwandel und die ihn begleitenden Individualisierungs- und Differenzierungsprozesse der Beschäftigten in moderne Interessenvertretungs- und Organisationsstrukturen umsetzen.“

Wie fühlt sich ein Erneuerer mitten in der Arbeit? Fritsch über Fritsch: „Diesen Job kann man nur begrenzte Zeit ausüben. Ich bin nur ein Mann der Übergangszeit, vielleicht ein bißchen sensibler und aufgeschlossener für neue Strömungen als meine Vorgänger.“ Er fürchtet, im tiefsten Innern doch ein klassischer, althergebrachter Gewerkschafter geblieben zu sein und bekennt: „Mir waren schon 1967, als ich zu studieren anfing, die Studenten mit den Parkas suspekt, aus denen die bunten Suhrkampbücher lugten. Ich war auch nie im SDS oder so: Ich habe von Beginn an Gewerkschaftsarbeit gemacht.“ Seine politische Laufbahn begann wie die so vieler aus dem sozialdemokratischen Milieu: „Da kam gleich zu Beginn der Personalrat und ließ uns unterschreiben. Barmer Ersatzkasse, SPD- und Gewerkschaftsmitgliedschaft. Das war einfach selbstverständlich.“

Hinter der Fassade des fleißigen Arbeiters und selbstkritischen Erneuerers Rolf Fritsch verbirgt sich ein gehöriger Schuß bitterer Zynismus, gepaart allerdings mit der Hoffnung, daß alles doch noch anders kommt. Sein stiller Ehrgeiz und sein wichtigster beruflicher Zufriedenheitsspender: „Ich möchte gesellschaftliche Entwicklungen antizipieren. Ich freu' mich dann, wenn ich recht gehabt habe. Meine Parole: Think dirty. Man muß immer das Schlimmste annehmen, dann wird man selten enttäuscht. Der Aha-Effekt befriedigt.“ Gilt dies auch dann noch, wenn seine Befürchtungen in Sachen Gewerkschaftszukunft sich als realistische Vorwegeinschätzungen entpuppen? Fritsch: „Ich fürchte immer, es gibt eines Tages einen riesigen Bums, und dann wird der tönernen Rübe der Kopf abgeschlagen.“ Ob Rolf Fritsch sein Aha dann wie die Polly in Bert Brechts Dreigroschenoper formuliert: „Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich Hoppla!“? Florian Marten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen