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Cannes 88Zweimal wider das erste Gebot

■ Über den Polnischen Film im Wettbewerb

Es dauert länger als erwartet. Erst will dem Taxifahrer der feste dünne Strick, mit dem ihn der Jugendliche erdrosseln will, nicht um den Hals. Er verfängt sich im Mund und muß noch über den Unterkiefer gezogen werden. Der Taxifahrer wehrt sich. Er drückt auf die Hupe. Ein Ackergaul, der in der Nähe grast, dreht sich um. Die Gegend ist menschenleer. Der Taxifahrer hört nicht auf zu hupen. Der Junge bindet ihn an der Kopfstütze fest, öffnet die Fahrertür. Der Taxifahrer bäumt sich auf, versucht, den Strick um den Hals zu lösen. Dann schlägt der Junge mit einer kurzen Eisenstange auf ihn ein. Dem Taxifahrer fällt das blutige Gebiß aus dem Mund. Fünf, sechs, sieben mal schlägt der Junge zu. Als der Taxifahrer keine Regung mehr zeigt, stülpt er ihm eine Decke über den Kopf. Er versucht, das Gebiß, dieses Grinsen ohne Gesicht, in den feuchten Boden zu treten. An den Füßen zieht der Junge den Taxifahrer zum Flußufer. Aber er ist noch nicht tot. Leise und hastig fleht er um Gnade. Man sieht die Mundbewegungen unter der Kapuze. Der Junge krampft sich zusammen, als sträubte er sich gegen das, was kommen muß, taumelt, findet einen fußballgroßen Stein. Der Taxifahrer wimmert immer noch. Zaghaft zuerst, dann besinnungslos holt der Junge aus, bis unter der getränkten Wolle nur noch formlose Masse ist. Der Rechtsanwalt ist verzweifelt, er hat es nicht vermocht, die Todesstrafe abzuwenden. Auch der Richter ist eigentlich dagegen, er sei machtlos gegen ein Gesetz, das sie in solchen Fällen unabweislich gebietet. Vorm Termin darf der Rechtsanwalt den Jungen noch einmal sprechen. Der Junge erzählt, wie seine Schwester mit zwölf unter den Traktor kam. Ein Freund hat ihn gesteuert, auch er hat draufgesessen, sie waren betrunken. Unterdessen bereitet der Scharfrichter die Gerätschaft vor, sie ist sachlich wie eine Eisenbahntoilette, ein Strang, eine Winde, eine Klappe. Das Loch ist nur etwa vierzig Zentimeter tief. Der Scharfrichter stellt eine gelbe Plastikschüssel hinein. Die Plastikschüssel dient dazu, die Scheiße aufzufangen, die dem Delinquenten aus der Hose tropfen wird. Thierry Chervel Krotki Film o Zabijaniu heißt der polnische Wettbewerbsbeitrag von Krzysztof Kieslowski: „Kurzer Film über das Töten“ (85 Min.)

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