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Zweifel an Ökobilanz der Bahn"Kein guter Gewinner"

Die Bahn verbraucht so viel wie ein Ein-Liter-Auto, sagt die Bahn. Ein Umweltinstitut kommt zu anderen Ergebnissen

Ist die Bahn halbvoll, gerät ihre Energiesparbilanz gegenüber dem Auto ins Hintertreffen, hat Gottfried Ilgmann errechnet. Bild: dpa

BERLIN taz Für die Deutsche Bahn ist der Fall klar: Sie sei "mit weitem Abstand das umweltfreundlichste Transportmittel", betont die Presseabteilung. "Bahnfahren schützt das Klima", titelt eine aktuelle Broschüre. Der Konzern erzählt gerne, dass sich der schnelle ICE zwischen Hamburg und Berlin mit so viel Energie wie ein Ein-Liter-Auto begnügt - berechnet pro Passagier und für einen voll besetzten Zug. So werde entsprechend wenig des klimaschädlichen Kohlendioxids in die Luft gepustet. Nur: So eindeutig ist die Rechnung nicht.

Das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung ermittelt schon seit Jahren im Auftrag des Umweltbundesamtes, wie viel Energie Auto und Bahn verbrauchen. Chef Ulrich Höpfner meint: "Für die Bahn wird es im Vergleich zu einem Vier-Liter-Auto eng - enger, als Bahn und manche Politiker glauben." Das gelte vor allem, wenn viele Plätze in der Bahn frei bleiben, das Auto hingegen voll sei. Allerdings haben große Autobauer zuletzt eher große Geländewagen entwickelt als Sparflitzer. Deutsche Autofahrer tanken im Schnitt noch immer acht Liter Benzin, um 100 Kilometer zurückzulegen. Zudem muss für das Benzin Erdöl gefördert, in die Raffinerie transportiert, zu Kraftstoff verarbeitet und bis zur Tankstelle gebracht werden. Obendrauf kommt noch, dass Ampeln unterhalten, Schnee geräumt oder Autobahnmeistereien geheizt werden müssen. "So werden aus acht Litern Benzin in Deutschland 9,8 Liter sogenannter Primärenergiebedarf für 100 Auto-Kilometer", sagt der Berliner Verkehrsforscher Gottfried Ilgmann. Und doch sei die Bahn "kein guter Gewinner".

Denn Ilgmanns Rechnerei ist noch nicht beendet. Die Basis für einen Vergleich ist schließlich der Verbrauch pro Passagier. Und Ilgmanns Annahme lautet: Jeder Pkw ist im Mittel mit 1,5 Personen besetzt. Das macht 6,5 Liter je Person und 100 Kilometer. Doch damit nicht genug: Im Fernverkehr komme ein Auto mit zehn Prozent weniger Kraftstoff aus als der Schnitt, so nimmt der Forscher an, und ist mit 1,7 Personen vergleichsweise gut ausgelastet. Für Ilgmann heißt das: Im Fernverkehr verbraucht der Pkw 5,2 Liter pro Person auf hundert Kilometer.

Zur Erinnerung: Der ICE braucht zwischen Hamburg und Berlin, wenn alles gut läuft, einen Liter. Der Haken: "Die Bahn hat sich eine besonders beliebte Strecke rausgepickt", meint Ilgmann. Kaum ein ICE fahre ständig vollbesetzt. Tatsächlich blieben im Bundesdurchschnitt 57 Prozent der Plätze frei. Ilgmann: "So werden aus einem Liter schon mal 2,3 Liter pro Person auf hundert Kilometer für den ICE." In ihrem Nachhaltigkeitsbericht gibt die Bahn den Primärenergieverbrauch für alle ICE und IC auch mit 2,8 Liter an - allein für den Strom, den der fahrende Zug aus der Oberleitung zieht.

Und das sei nicht nicht alles, sagt Ilgmann. Beleuchtung der Bahnhöfe und die Instandhaltung der Schiene kämen dazu. Außerdem müssten die Kunden noch von zu Hause zum Bahnhof kommen, häufiger per Taxi oder Bus, seltener zu Fuß oder per Rad. Und mit dem Zug fahre man mehr Umwege als mit dem Auto: Es gibt weniger Schienen als Straßen. Ilgmann: "Die Bahn braucht im Fernverkehr gut 3,9 Liter Benzin pro Person auf 100 Kilometer Strecke."

Was heißt das nun alles? Die Rechnerei von Ilgmann könnte Fehler haben: Daniel Kluge vom Verkehrsclub Deutschland hält sie "für unseriös", es sei zu schwierig, die "externen Faktoren" genau einzubeziehen. Und selbst wenn der Klimavorsprung der Bahn schrumpfe, bleibe sie das "sicherste Verkehrsmittel". Zudem puste sie weniger Schadstoffe als ein Auto in die Luft. Ifeu-Forscher Höpfner fordert: "Die Bahn soll mehr in erneuerbaren Strom investieren." Das helfe ihrer Klimabilanz.

Experte Ilgmann sagt: "Wenn Sie morgen um 5.20 Uhr mit dem Regionalexpress von Berlin nach Stralsund reisen, verursachen Sie gar kein zusätzliches klimaschädliches Kohlendioxid." Um einen attraktiven Takt zu bieten, erhält die Bahn vom Staat Geld für die Regionalverbindungen. Der Zug fährt ohnehin.

HANNA GERSMANN

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2 Kommentare

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  • H
    Heinz

    Wenn bei der Bahn Bahnhofsbeleuchtung etc mitgerechnet wird, dann sollte man beim Auto wohla uch Straßenbeleuchtung, den Energieverbrauch von Tankstellen und den Treibstoff, welcher für den Transport des Benzins erforderlich ist, mitrechnen.

     

    Für mich eine äußerst fragwürdige Rechnung...

  • HC
    Hendrik Claus

    Ihren Kommentar hier eingeben:

    Hallo,

     

    sehr schöner Artikel, der das Thema von vielen Seiten betrachtet. Hier sollte aber auch berücksichtigt werden, welche Wirkung eine individuelle Entscheidung für dieses oder jenes Verkehrsmittel hat. Also: Ob ich mit dem Auto fahre oder nicht, hat die unmittelbare Wirkung, dass Abgase ausgestoßen werden- oder eben nicht.

     

    Wenn ich mit dem Zug nicht fahre, heißt das ja nicht, dass der Zug nicht fährt. Diese Wirkung gäbe es erst ab einer gewissen Schwelle- wenn sehr viele Menschen über einen längeren Zeitraum Zug fahren oder nicht, werden mehr Züge eingesetzt (oder aus dem Fahrplan gestrichen).

     

    Halbvoll sind die Züge an bestimmten Wochentagen- dennoch ist die Bahn (bzw. im Nahverkehr die Länder) bemüht einen Stunden- bzw. Zweistundentakt anzubieten. Fahre ich also an diesen Tagen in einem halbvollen Zug, ist meine Umweltbilanz schlechter, aber der Fahrplan ist eher angebots- als nachfrageorientiert. Freitags und sonntags sind die Züge nicht nur voll, es werden auch viele zusätzliche Züge eingesetzt. Die Umweltbilanz des einzelnen Fahrgastes wäre zwar besser, aber würde er seine Fahrt auf einen anderen Tag verlegen (und die Auslastung über die Woche wäre ausgeglichener), wäre es dennoch besser für die Umwelt, weil dann weniger zusätzliche Züge nötig wären.

     

    Außerdem ist mir die Konzentration auf CO2 zu einseitig. Jedes Verkehrsmittel verursacht Lärm und verbraucht Fläche- und hier schneiden die öffentlichen ebenfalls besser ab.

     

    Um die Umweltauswirkungen des Verkehrs zu mindern, wird die Verlagerung nicht genügen, es sollte auch immer mehr vermieden werden. 40 % des Verkehrs in Deutschland ist freizeitbedingt, habe ich mal gelesen.