: Zweifel am Rechtsstaatsverständnis
Betr.: „Brechmittel-Tod vor Gericht“/„Eine Drogenpolitik zum Kotzen“/„Exkorporation via naturalis“/„Wie weit reicht die Moral der CDU?“, taz nord vom 11. 5. 06
Vorweg eines: Zwar bin ich der Auffassung, dass der strafrechtliche Bekämpfungsansatz Teil der heutigen Drogenproblematik ist – und damit der Ressourcenprobleme von Polizei, Justiz und Strafvollzug. Und ich trete dafür ein, überkommene Denkstrukturen aufzubrechen sowie kritisch analysierend Althergebrachtes in Frage zu stellen und auch das „Undenkbare“ (Entkriminalisierung des Rauschgiftkonsums, partielle Legalisierung und/oder staatlich kontrollierte Drogenabgabe) unvoreingenommen zu durchdenken. Als polizeilicher Ruheständler und vormaliger Leiter des Drogendezernats des Hamburger Landeskriminalamts sage ich aber auch: Solange die Gesetze so sind, wie sie sind, müssen Polizei und Justiz auch in die Lage versetzt werden, sie durchzusetzen.
Aber auch bei der Strafverfolgung ist der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten – es gibt keine Strafverfolgung um jeden Preis. Die Gefährlichkeit des Brechmittels beziehungsweise der Zwangsprozedur mag zwar umstritten sein, unzweifelhaft ist aber der Einsatz der Drogentoilette ein ebenso geeignetes und milderes Mittel. Trotzdem zwangsweise Brechmittel zu verabreichen, ist somit unzulässig und kann den Tatbestand der Körperverletzung im Amt erfüllen. „Wir behalten uns die Zwangsverabreichung aber ausdrücklich vor, wenn das Mittel nicht freiwillig geschluckt wird.“ Die in dieser Formulierung der Hamburger Justizbehörde mitklingende Drohung ist so subtil – auch dann, wenn dies so den Beschuldigten vermittelt wird – dass sie juristisch kaum greifbar ist. Die rechtsstaatliche Moral ist aber offensichtlich nicht besonders stark ausgeprägt.
Der Bremer Senat hingegen scheint seine Lektion kapiert zu haben, da er keinen Anlass sieht, vom Drogenklo-Prozedere abzurücken. Allerdings befremdet das Bedauern, dies sei „mit einem außerordentlich hohen Aufwand und mit hohen Kosten verbunden“. Dies mag der Finanzlage geschuldet sein, ist aber sachlich unbegründet und lässt auch hier Zweifel am Rechtsstaatsverständnis zu.HOLGER GUNDLACH, Hamburg