: ZweiFührungendurchdiedeutscheNachkriegskunst
NochfürFreitag: ■ Kunstgeschichte, zweifach
Da stehen wir nun etwas erschöpft zwischen den Heisigs und Matheuers, den Kopf angefüllt mit Geschichte über 45 Jahre Kunst aus der DDR. Eineinhalb Stunden hat uns Gabriele Sand vom Museumspädagogischen Dienst (Berlin-West) durch die ständige Ausstellung »Kunst der DDR« im alten Museum geführt. Gleich zu Anfang hat sie uns einen Überblick über die (west-)deutschen Diskussionen über Ost-Kunst vermittelt, die von Urteilen wie »uninteressant« bis »der Markt wird schon zeigen, was brauchbar ist« reichen.
Solchermaßen eingestimmt beginnen wir unseren Rundgang in der Frühphase der SBZ- und DDR-Kunst. Wir hören, daß in der »antifaschistisch-demokratisch« genannten Zeit zwischen 1945 und 1949 die Kunst relativ frei von Bevormundung war und die nach (Ost-)Deutschland zurückkehrenden Künstler stark von den expressionistischen Strömungen der Zwanziger Jahre geprägt worden waren. Beispielhaft für den Ausdruck der individuellen Trauer und Bestürzung nach dem Ende des zweiten Weltkriegs seien die vielen Selbstbildnisse wie z.B. das in düsteren Farben gehaltene Gemälde von Hans Grundig (1946): ein vom Krieg gezeichneter Soldat starrt, in militärischer Haltung verharrend, aus einem halbdunklen Raum mit leerem Blick an dem Betrachter vorbei.
Die folgenden Epochen der DDR-Kunst erläutert Sand nach Art der westdeutschen Kulturfachbücher, dekadenweise. Die fünziger Jahre erscheinen als Zeit des platten sozialistischen Realismus — allerdings gibt es in der Ausstellung kein Kunstwerk, das uns Sand als repräsentativ hierfür vorstellen könnte. Einfacher hat sie es da mit den Sechzigern und Siebziger Jahren. Hier bieten sich Willi Sittes vielschichtiges Historienbild »Leuna 1921« (1965/66) — es zeigt collagenartig Szenen aus der Geschichte der Arbeiterbewegung — und Walter Matheuers »Die Ausgezeichnete« (1973/74) als Epochenwerke an. Matheuers konfliktträchtiges Gemälde wird uns vorgeführt als Prototyp für einen DDR-Realismus, der seinen optimistischen Charakter verloren hat: Eine ältere Frau, der man die Anstrengungen eines harten Lebens ansieht, sitzt in einem kahlen Raum allein an einem Tisch, auf dem ein Strauß schon leicht ermatteter Tulpen liegt.
Zur Erläuterung des letzten DDR-Jahrzehnts zeigt Sand auf ein Bild von Bernhard Heisig: Vor schmerzverzerrten Gesichtern mit aufgerissenen Mündern erläutert sie uns das Wesen des Realismus, wie es in der DDR verstanden worden ist: Das Maß und der Ausgangpunkt der Kunst sei der Mensch als Ganzes gewesen.
Eine Woche später im Martin-Gropius- Bau. Diesmal bin ich der einzige Interessent an der Führung von Gabriele Sand. Nach einem kurzen, sehr informativem Umweg über die Zwanziger-Jahre-Sammlung der Berlinischen Galerie, in der Sand auf die Traditionslinien deutscher Kunst hinweist, begeben wir uns in die Räume mit der Westberliner Malerei. Auch hier widmet Sand besondere Aufmerksamkeit der Anfangszeit. Sie unterstreicht die größere Spannweite der Verarbeitung von (Nach-)Kriegserfahrung am Beispiel von Carl Hofers »Totentanz« (1946) und den Werken des Berliner Surrealisten Heinz Trökes. Die Kunst der fünfziger Jahre im Westen sieht Frau Sand als Kontrapunkt zum sozialistischen Realismus: Abstrakt um jeden Preis, im Zentrum die subjektive Befindlichkeit des Künstlers. Wir bleiben vor Fred Thielers »Wannsee II« (1962) stehen, einer großformatigen Klecksorgie in den Farben Schwarz, Weiß und Rot. Das Bild weist keine bewußte Bildkomposition mehr auf, sondern ist nur noch »aus dem Bauch heraus« entstanden.
In den folgenden Jahrzehnten steht Kritischer Realismus neben Pop Art, Aktionskunst neben Neuen Wilden usw. Schade nur, daß mir Frau Sand dafür keine Beispiele zeigen kann; die entsprechenden Abteilungen sind gerade geschlossen. So beschließen wir den Rundgang in dem Raum mit den neuesten Erwerbungen der Berlinischen Galerie. Etwas ratlos wirkt Gabriele Sand da. Die von der Berlinischen Galerie eben erst erworbenen Werke junger Ost- Berliner Künstler lassen sich in gar keine Kategorie einordnen. Ost? West? Realismus? Expressionismus?
Am Freitag, den 9.11. im Alten Museum, Bodestr. 1-6, S-Bhf. Friedrichstr., 10Uhr30 und 14Uhr
Am Freitag, den 16.11. in der Berlinischen Galerie, Stresemannstr. 110, 1-61, 10Uhr30 und 14Uhr Klaus Scheddel
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