: Zwei Kilo Hasch straffrei rauchen
■ Landgericht stellt Verfahren gegen Aidskranken ein, der kiloweise Hasch gekauft hat. Gefängnis aber wegen alter Strafe
Justitia kann menschlich sein, wenn sie es will: Im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft hat gestern das Landgericht einen Prozeß gegen einen 55jährigen Lehrer im Ruhestand eingestellt, der zwei Kilo Haschisch besessen hatte.
Der Lehrer Fridolin Schöner ist, was man gemeinhin einen unbelehrbaren Wiederholungstäter nennt. Der 1988 wegen Bandscheibenleidens und Alkoholismus aus dem Schuldienst ausgeschiedene Lehrer konsumiert seit vielen Jahren regelmäßig 100 Gramm Haschisch im Monat und stand deshalb auch schon mehrfach vor Gericht. Allerdings nicht, weil ihm die Rauschgiftfahnder auf die Schliche gekommen waren, sondern weil er sich bei der Staatsanwaltschaft selbst angezeigt hat. „Ich bin davon durchdrungen, daß es richtig ist, was ich mache“, ist Schöners Credo.
Bevor der ehemalige Pauker vor acht Jahren zum Kiffer wurde, hatte er 25 Jahre lang getrunken, zum Schluß anderthalb Flaschen Weinbrand pro Nacht. „Der Alkohol hat mich körperlich ruiniert, im Gegensatz zum Haschisch, das mir überhaupt nicht schadet“, sagte der Angeklagte gestern. Schöner ist homosexuell und seit einem Jahr an Aids erkrankt. Haschisch sei für ihn ein wichtiges Therpeutikum, um seine Appetitlosigkeit zu lindern. „Sonst wäre ich heute nur noch ein Gerippe.“ Außerdem wirke die Droge als Stimmungsaufheller und ermögliche ihm, sich „positiv“ mit seinem Leben und Leiden auseinanderzusetzen.
Das letzte Mal hatte Schöner im Juni letzten Jahres vor Gericht gestanden. Das Landgericht verurteilte ihn damals zu zwei Jahren und drei Monaten Haft. Grundlage war seine Selbstanzeige, mit der er ohne Not zugegeben hatte, für den Eigenkonsum diverse Male ein bis vier Kilo Haschisch von Amsterdam nach Berlin geschmuggelt zu haben. Die Strafe soll er nun in wenigen Tagen in der Freigängerhaftanstalt Hakenfelde antreten. Gegen dieses Urteil liegt eine Beschwerde von Schöners Anwalt beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vor. Darin heißt es: Schöner sei auf den regelmäßigen Konsum erheblicher Mengen Haschisch angewiesen, weil er damit die durch seine Aidskrankheit bedingten Beschwerden lindern könne. Über den Antrag, das Urteil aufzuheben, hat das BVerfG noch nicht entschieden. Bislang gibt es nur einen Beschluß des BVerfG, bei geringen Mengen Haschisch und gelegentlichem Konsum von Strafe abzusehen. Dieser Beschluß geht auf einen Antrag des Lübecker Richters Wolfgang Nescovic zurück. Für die Freigabe von Cannabis als Medikament setzt sich auch eine unlängst in Berlin gegründete Selbsthilfegruppe ein.
Den gestrigen Prozeß hatte sich Schöner mit seinem freimütigen Geständnis beim letzten Verfahren im Juni 1995 eingebrockt. Damals hatte er gesagt, daß er unvermindert weiterkiffe und bei einem Berliner Dealer bereits zwei Kilo zum günstigen Preis von ingesamt 10.000 Mark bezogen habe. „Das kann auf Dauer doch keine Lösung sein, immer ins Gefängnis zu gehen“, stellte der Vorsitzende Richter Theodor Seidel nachdenklich fest. Schöler gab ihm recht: Aber manchmal müsse man für sein Handeln ins Gefängnis, „wenn wir erkennen, daß etwas veränderungsbedürftig ist“, berief er sich auf Gandhi. Als der Angeklagte von seiner jetzigen Haschischvorratshaltung schwärmte, winkten die Richter nervös ab: „Wir wollen nur wissen, was damals war.“
Dann geschah, was niemand erwartet hatte: Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem die Staatsanwältin überraschend ihre Zustimmung gegeben hatte. Es war die letzte Tat des Vorsitzenden Seidel, der sich nach 26 Jahren Richterdasein in Pension begibt. Der psychiatrische Sachverständige Edward Meyer wurde nicht mehr gehört. Meyer befürchtete im Gespräch mit der taz, daß sich Schöner weiter selbst bezichtigen werde und sich damit vollends zum Märtyrer mache. Dabei habe er seinen Beitrag zum Kampf um die Legalisierung längst geleistet. Plutonia Plarre
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