Zwei Euro für Johnny Depp

Der Berliner Flipperkönig Jens Domke hat eine Mission. Er will die Flipperbranche retten. In den Gaststätten stehen fast nur noch Geldspielautomaten, und wenn der Spielernachwuchs ausbleibt, heißt es womöglich bald: Game over!

VON KIRSTEN REINHARDT

„Bling! Bling, bling, bling, bling, bling – Ding! Ding, ding, ding, ding, ding“. Mit Pete Townshends Gitarrenklängen, die das Geräusch zuckender Flipperarme imitieren, beginnt einer der bekanntesten Rocksongs der 70e-Jahre: „Pinball Wizard“ von The Who. Dann setzt ein „Da-daaaaammmm!“ ein, ungefähr das Geräusch, das ein Flipper macht, wenn man eine Kugel ins Ziel schießt.

Heute ist der Flipperautomat ebenso nostalgisch besetzt wie der Song von 1969. Seit dem großen Branchen-Einbruch Ende der 90er-Jahre ist die goldene Zeit vorbei: Der Flipper ist heute beinahe ein Mythos, nostalgisches Spielgerät. Gefeiert von einer kleinen Anhängerschaft, aber verdrängt von den Geldspielautomaten der Aufsteller und von Computer- und Videospielen, die Jugendliche schon früh immun gegen die vergleichsweise unspektakuläre Anziehungskraft einer Flipperkiste machen.

In den 70er-Jahren hatte der Flipperboom enorme wirtschaftliche Ausmaße. 50.000 Automaten wurden 1966 in den USA gebaut. Gut ein Fünftel davon importierte die Bundesrepublik. In den 90ern kauften die Amerikaner viele der Geräte zurück, für private Sammler. „Der Flipper-Hype kommt in Wellen“, sagt Stefan Dreizehnter, Chefredakteur von Games & Business, „Fachmagazin für das moderne Münzspiel“. „Im Moment gibt es leise Zeichen für einen Aufstieg, aber die große Zeit wie vor 20 Jahren wird nie wieder erreicht werden. Heute gibt es ein mediales, aber kein gewerbliches Interesse mehr am Flipper.“ Das Gros der Automatenaufsteller setzt auf Geldspielautomaten. Unterhaltungsgeräte wie Flipper, Billard, Dart oder Fahrsimulatoren machen nur etwa 30 Prozent des Bestandes eines professionellen Aufstellers aus, schätzt Dreizehnter. Klar: Zockautomaten sind lukrativer, sowohl für Wirte als auch für Aufsteller, die sich die Einnahmen teilen. Doch klebt an diesen Maschinen das schmuddelige Image trister Eckkneipen, in denen sich arbeitslose Spielsüchtige zum morgendlichen Korn treffen.

Nicht so am Flipper. Schließlich spielt man um ein Freispiel, nicht um Geld. In Berlin sind es heute vor allem Studenten- und Rockerkneipen, die Flipper aufstellen. Das tut vor allem ein Mann, den man in der Szene als „Flipperkönig“ kennt. Sich selbst bezeichnet er als „alternativen Aufsteller“. Er ist nicht im Berufsverband der Automatenindustrie, besiegelt seine Verträge mit Handschlag und ist passionierter Flipperbastler. Jens Domke flippert seit 20 Jahren. 1986 kam er, gerade volljährig, nach einem gescheiteren Fluchtversuch und siebenmonatiger Haft nach Westberlin, freigekauft von der Bundesregierung. Im Insight auf dem Ku’damm erwachte seine Flipperleidenschaft, am Komet, einem Rummelflipper mit Nancy und Ronald Reagan und einem Peace-zeigenden Hippie in der Achterbahn. Flipper sind Domkes Kerngeschäft und Herzensangelegenheit, obwohl sie wartungsintensiv sind und wenig Gewinn abwerfen. Doch mit rund 45 Geräten in Kreuzberger und Friedrichshainer Studenten- und Rockerkneipen sowie ein paar Eckpinten kommt er über die Runden. Außerdem hat er Kicker, Billard und Darts, Geldspielgeräte machen nur zehn Prozent seiner Gerätschaft aus.

Domkes Lieblingsflipper ist „Attack from Mars“. Nach acht schweren Missionen muss der Spieler die Welt retten und gegen Marsianer kämpfen. „Wenn ich das schaffe, steht in der Animation: Herrscher des Universums Jens.“ Einmal im Monat klappert Jens Domke seine Kneipen ab, klaubt die Münzen aus den Automaten und löscht die digitalen Bestenlisten. Dann müssen sich die Flipperer ihre klangvollen Titel erneut erkämpfen. Nicht nur für Domke sind die der Anreiz zum Spiel.

Auf den Displays der Flipper in Kreuzberger Kneipen blinkt immer wieder der Name „Uli“ in Leuchtbuchstaben. Uli ist ein wahrer Flipperfreak, ein unauffälliger Herr in den Vierzigern. Nach der Arbeit steht er täglich seine zwei, drei Stunden am Flipper. Den Trenchcoat noch am Leib, Aktentasche und Feierabendbiertulpe auf einem Barhocker drapiert.

„Früher haben die Kids nach der Schule 50 Pfennig in den Flipper geschmissen, sich ein Freispiel nach dem anderen erflippert und an Mitschüler verkauft, die nicht so gut waren,“ erzählt Domke. „Uli war bestimmt auch so einer.“ Uli schweigt dazu, lächelt und jagt weiter die Kugeln klackernd durch den Simpsons-Flipper. „Heute geht das nicht mehr, die Geräte sind moderner geworden und passen sich dem Niveau des Spielers an. Wenn einer gewinnt, wird die Punktgrenze zum Freispiel immer höher“, so Domke, „Ein Glück für die Aufsteller!“

Der erste Flipper war noch mechanisch. Gebaut 1931, mitten in der Weltwirtschaftskrise, schuf der „Pinball“ sowohl Arbeit als auch Zerstreuung für das Heer der Arbeitslosen. Mit den amerikanischen GIs kamen auch die ersten Pinball-Geräte nach Deutschland. Der Boom, den der Unterhaltungsautomat in der 70er-Jahren erlebte, hat mit der Elektrifizierung des Geräts zu tun: Bunt blinkend und actionlastig zog es vor allem Jugendliche in seinen Bann. Von den großen Flipperherstellen Williams, Gottlieb & Co und Bally ist heute keiner mehr übrig. Allein Stern Pinball mit Sitz in Illinois beherrscht den Markt und bringt Flipper mit lizensierten Themen und Erfolgsgarantie auf den Markt. „Lord of The Rings“ oder jetzt gerade „Pirates of the Caribbean“.

Bernd Jürgen Warneken, Professor für Kulturwissenschaften an der Uni Tübingen, rückte dem Flipper-Phänomen 1974 mit Walter Benjamin, der Freud’schen Psychoanalyse und Adorno zu Leibe. Der damals 28-Jährige schrieb ein kleines Rachemanifest gegen das Gerät, in das er damals so viele Münzen gesteckt hatte. Heute wirken seine Analysen, die den Flipper als tumb-aggressives Ablenkungsspiel und den Flippernden als Sklaven des Automaten entlarven, fast komisch, gibt es doch inzwischen ganz andere Formen von Unterhaltungsspielen, die „Roheit, Passivität und Ungeselligkeit“ fördern. Verglichen mit heutigen Ballerspielen am Computer erscheint der haptische Flipperautomat geradezu pädagogisch wertvoll. Interessant die von Warneken zitierten Studien. So fand man 1955 heraus, dass der Großteil der Flippernden jung, männlich und der „Unterschicht“ angehörig war. Das änderte sich: Linke Akademiker entdeckten zu Beginn der 70er-Jahre die Subkultur der „Halbstarken“ und proletarische Freizeitvergnügen wie Fußball und Flippern für sich und ihren neuen, popkulturellen Diskurs. Warnekens Text erschien zufällig im selben Jahr, in dem Kurt Russels Verfilmung der Rock-Oper „Tommy“ von The Who in die Kinos kam. Der Stern schrieb, dass die „bunte Rappelkiste salonfähig geworden“ sei. Begriffe aus dem Flippervokabular gingen in die Jugendsprache ein. „Game Over“, erinnert sich Warneken“, sagte man immer dann, wenn etwas aus war im Alltag. Also, in der Liebe.“

Das es Nachwuchsprobleme in der Flipperbranche gibt und die Spielerschaft mit dem Gerät gealtert ist, wissen alle. „Die große Zeit des Münz-Unterhaltungsspiels ist vorbei, seit Nintendo, Playstation und X-Box“, sagt Stefan Dreizehnter. Mitte der 90er-Jahre erlebte die Flipperindustrie einen letzten Aufschwung. 1993 bekam der Flipper ein neues Soundsystem: Indiana Jones, dessen Trigger eine Pistole ist, spielte die Filmmelodie und plapperte Filmzitate. Es folgte der legendäre „The Addams Family“, der mit über 20.000 Exemplaren meist verkaufte Flipper aller Zeiten. Als diese Geräte herauskamen, saß Jens Domke direkt an der Quelle. Nach seiner Lehre hatte er zunächst eine Kneipe betrieben und begonnen, den eigenen Tomcat-Flipper per Handbuch selbst zu reparieren. Bald wurde er von der Firma Löwen-Automaten als Flippertechniker geworben. Bis ein Kneipier ihn auf die Idee brachte, sich selbstständig zu machen. Das ist er nun seit zehn Jahren, erfolgreich. Jens Domke sieht mit seinen 39 Jahren noch aus wie ein Lausbube.

Ab Mittag arbeitet er auf Abruf und fährt die Kneipen ab, in denen es etwas zu reparieren gibt. Er putzt die Flipper, repariert lockere Beine und kaputte Platinen. „Es ist nicht immer angenehm, in 24-Stunden-Kneipen zu reparieren, wenn mir angetrunkene Elektriker erzählen wollen, wie es geht“, sagt Domke. Trotzdem lässt er immer ein paar Freispiele auf dem Gerät, wenn es frisch gewartet ist.

Damit tut er weniger taschengeldlosen Kids einen Gefallen, als den älteren Stamm-Flipperern. „Fragt man heute einen 15-Jährigen, weiß der doch gar nicht mehr, was ein Flipper ist!“, provoziert Dreizehnter und schimpft über die neuen Flipper des Monopolisten Stern Pinball. So wie den zu Jerry Bruckheimers Piratenepos mit Johnny Depp als Karibik-Pirat. Zwar hat Domke „Pirates of the Caribbean“ schon bestellt, „meine Kunden wollen den eben.“ Doch hat er für Stern nur Verachtung übrig: „Früher haben die Hersteller eigene Themen entwickelt, heute schieben sie ein Filmposter hinter das Backglass, setzen ein paar Filmfiguren rein und fertig. Ob damit Nachwuchs kommt? Dreizehnter formuliert das so: „Die denken: Oh, bunte Kiste, was ist denn das? Johnny Depp! Schmeiß ich mal zwei Euro rein!“