Der wahrgenommene Sprachverfall betrifft wohl in erster Linie die Medien und die Werbung.
Genitive auch dort, wo der Dativ erforderlich ist - offenbar aus Unkenntnis: man hält den Genitiv für "feiner";
Phrasen wie "am Ende des Tages" statt "am Ende" oder "schliesslich";
die bekannte "Ikone" mit ihrer "ultimativen" Erscheinung als "Ikone der Pop-Kultur",
die "Mission" anstelle des "Einsatzes";
"nichtsdestotrotz" statt "nichtsdestoweniger"(vgl. "nevertheless", "neanmoins", "niemniej");
"sich" statt "einander" (man vergleiche: "sie lieben sich" mit "sie lieben einander");
"für was","auf was" statt "wofür","worauf";
man "studiert auf Lehramt";
hat "5 Punkte Vorsprung auf den Konkurrenten" anstatt "vor dem Konkurrenten".
Man betont grundsätzlich auf der ersten Silbe, auch bei Fremdwörtern, und spricht von "LAffontähn", "VOnderleyen" statt von "la FontÄn", "von der LEYen";
man spricht von "DschÖrnalisten" statt von "SchurnalIsten" usw.
Man bringt "zeitgleich" und "gleichzeitig" durcheinander: wahrscheinlich kennt man den Unterschied gar nicht, weiß vielleicht auch gar nicht, was ein Dativ und was ein Genitiv ist usw.
Auch die Grünen und andere "progressive" Gruppen haben ihr Teil beigetragen:
Der Ersatz z.. von "gewaltlos" durch "gewaltfrei" hat im Grunde genommen schon die späteren militärischen Einsätze angekündigt ...
Merke:
bisher wurde noch kein einziger Anglizismus erwähnt!
Hierzu:
Denglisch sprechen und schreiben Leute, die zeigen wollen, dass sie nicht nur kein Deutsch können, sondern auch kein Englisch.
Wer weiss denn schon, was "kid" auf englisch heißt, oder was ein "public viewing" ist?
Macht nix, wir basteln uns unser Denglisch selbst, denn "schief ist englisch, und englisch ist modern" (ein Spruch meiner Großmutter aus der Kaiser-Wilhelm-Zeit).
Das Problem beim Denglisch ist aber nicht die Wortwahl, sondern die Haltung. Das beste Deutsch kann aus lauter Fremdwörtern bestehen (Karl Kraus), und schlechtes Deutsch wird durch die Vermeidung von Anglizismen nicht besser.
Das wahre Problem liegt wohl darin, dass vielfach die Existenz von Kriterien für sprachliche Qualität schlicht geleugnet wird - während dieselben Leute durchaus meinen, eine gute sportliche Leistung oder eine gute musikalische Darbietung von einer schlechten unterscheiden zu können.
Das Problem liegt auch in der Furcht, als arrogant angesehen zu werden, wenn man an die sprachliche Leistung als eine Kunst ansieht, die man lernen, übern und verbessern kann, wenn man einen Konjunktiv I richtig verwenden und von einem Irrealis unterscheiden kann, wenn man weiss, was eine Consecutio Temporum ist, wo das Präteritum dem Perfekt vorzuziehen ist, und warum das Plusquamperfekt, z.B. "ich war zu Hause gewesen" meist falsch verwendet wird.
Man vergleiche hiermit die Haltung der Franzosen zu ihrer Sprache. Auch die Engländer gehen, entgegen landläufigem Vorurteil, durchaus nicht nachlässig mit ihrer Sprache um.
Spricht man das Problem des nachlässigen Umgangs mit der deutschen Sprache aber an, so wird sogleich mit Phrasen abgewehrt, wie der, dass alle Generationen von Verfall sprächen - natürlich, weil es Verfall immer gibt:
der Unterschied besteht aber darin, ob man etwas dagegen tut oder nicht.
Oder dass es so viele "eingebürgerte" Fremdwörter im Deutschen gebe - natürlich, wobei schon die Benennung "Fremdwörter" problematisch ist, denn ein Wort, dass seit Jahrhunderten im Deutschen gebräuchlich ist, ist nur dann "fremd", wenn man die "germanische" Wurzel des Deutschen als die einzig richtige ansieht. Der Unterschied besteht darin, dass der Import und die Neubildung von Pseudo-Anglizismen heutzutage viel öfter, viel schneller, und viel "industrieller" als früher geschehen: neue Wörter "diffundieren" nicht langsam ins Deutsche, sondern sie werden "gepusht", und durchaus nur in einer Richtung: es gibt nicht viele neue türkische - ausser dem zum Gemeinplatz gewordenen "Döner" - polnische oder serbisch/kroatische Wörter im Deutschen. Dies zeigt schon, dass der sprachliche Import nicht "aus dem Volk" geschieht, dem man nach Luther "aufs Maul schauen soll".
Wir wundern uns über das merkwürdige Deutsch Friedrichs des zweiten, welcher meinte, "die deutschen Cantatricen wieherten wie Stuten", und im Grunde genommen nur die französische Sprache und Lebensart anerkannte. Aber im Grunde genommen nimmt jemand, der meint, ein "Song" sei etwas moderneres als ein "Lied", ein "Sound" etwas anderes als ein "Klang", eine ähnliche Haltung an, wie jener preussische König.
Th.
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