: „Zwangsröntgen ist Körperverletzung“
■ Ärztekammer votiert gegen Altersfeststellung durch Strahlen bei Flüchtlingen / Justiz wälzt Rechtsprobleme auf Mediziner ab Von Silke Mertins
Hamburger ÄrztInnen wollen sich nicht länger als Erfüllungsgehilfen der Justiz mißbrauchen lassen. Das beschloß jetzt die Ärztekammer der Hansestadt mit großer Mehrheit und fordert ihre Mitglieder auf, „sich nicht an der Feststellung des biologischen Alters“ bei jungen Flüchtlingen durch Röntgen der Hände zu beteiligen. Diese ärztliche Handlung sei „berufsrechtlich als Körperverletzung“ anzusehen und in ihrer Methode „ungenau“.
Die Altersfeststellung wird von der Justiz gerne bei minderjährigen Flüchtlingen angeordnet, um nachzuweisen, daß es sich um Jugendliche über 16 Jahre handelt. Dann nämlich unterliegen die Flüchtlingskinder nicht mehr dem Schutz Minderjähriger, sie müssen einen eigenständigen Asylantrag stellen und können außerdem sofort abgeschoben werden.
Auch, ob die Altersfeststellung von AusländerInnen, die in einem Strafverfahren angeklagt sind, gegen das ärztliche Berufsrecht verstößt, will die Hamburger Ärztekammer prüfen lassen. „Es kann kein Arzt gezwungen werden, eine solche Untersuchung durchzuführen“, sagte Kinderarzt Michael Bentfeld von der Gruppe „Ärzte Opposition“ gegenüber der taz.
Denn: Was Gerichte anordnen – die Altersfeststellung durch Röntgen der Hände und Zähne –, verstößt gegen die für Ärzte verbindliche Röntgenverordnung. Danach darf nur mit Einverständnis des Betroffenen und aus medizinischen Gründen eine Röntgenaufnahme vorgenommen werden.
Die Röntgenverordnung scheint aber nicht allen Hamburger Medizinern bekannt zu sein. Der Zahnarzt Dr. K. vom Universitätskrankenhaus Eppendorf führte bei dem Untersuchungshäftling Sait E. eine Röntgenaufnahme der Zähne gegen seinen Willen durch. Der Mediziner sollte feststellen, ob der beschuldigte Türke tatsächlich jünger als 21 Jahre ist – wie in seinem Paß angegeben und vom türkischen Konsulat bestätigt – oder bereits älter. Der nach Ansicht des Gerichts älter aussehende Straftäter sollte bei Bestätigung des Verdachts dann nach Erwachsenenstrafrecht behandelt werden – gegenüber dem Jugendstrafrecht ein erheblicher Unterschied in Strafmaß und Haftbedingungen.
Sait E.s Rechtsanwalt Martin Lemke sagte gegenüber der taz, Dr. K. habe vor Gericht angegeben, die Röntgenverordnung sei ihm nicht bekannt. Auch habe er nicht genau sagen können, welcher Strahlenexposition Sait E. ausgesetzt gewesen sei. Außerdem, so Rechtsanwalt Lemke weiter, habe K. gemeint, daß, wenn der des Deutschen kaum mächtige Sait die Untersuchung nicht gewollt hätte, er die Untersucher ja hätte in den Daumen beißen können, um seiner Weigerung Ausdruck zu verleihen. Abschließend sei der Zahnarzt zu dem Ergebnis gekommen, Sait E. habe „mit Sicherheit“ das 21. Lebensjahr schon erreicht. Inzwischen habe aber, berichtet Rechtsanwalt Lemke, der polizeiliche Verbindungsbeamte in der Türkei, ein deutscher Polizeikommissar, Saits im Paß eingetragenes Geburtsdatum mittels Geburtenregister in seinem Heimatort bestätigt.
Das Zwangsröntgen von AusländerInnen ist zwar rechtlich unstrittig, jedoch berufsethisch für Ärzte „im höchsten Maße zweifelhaft“, so Kinderarzt Bentfeld. Er hält erzwungene Untersuchungen für „unärztlich, auch wenn sie auf der Grundlage einer gerichtlichen Ermächtigung“ stattfinden.
Indes versucht Pressesprecher Rüdiger Bagger die Staatsanwaltschaft damit herauszureden, daß der Paragraph 25 der Röntgenverordnung – geröntgt werden darf nur aus medizinischen Gründen – im vergangenen Sommer wohl noch nicht in Kraft gewesen sei. „Quatsch“, kommentiert hingegen Dieter Schmidt von der Ärztekammer, „die Röntgenverordnung war schon immer so.“
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