Zwangspause für russischen Biathleten: Die Blutsbrüder
Der russische Biathlet Iwan Tscheresow wird beim Weltcup in Oberhof mit einer Schutzsperre wegen Überschreitens des Hämoglobin-Grenzwertes belegt.
Der Absatz von alkoholischen Getränken am Oberhofer Grenzadler floriert. Die Stimmung auf den Rängen der Biathlonarena ist prächtig. Mit Jubelchören werden die deutschen Skijäger am Schießstand empfangen. Das ZDF feiert "Wahnsinnsrennen" der Deutschen und "unglaubliche Schießleistungen" der winterlichen Zweikämpfer. Da geht eine Meldung über einen russischen Biathleten, die die gute Laune verhageln könnte, zwangsläufig unter. Es geht um Iwan Tscheresow. Der 28-Jährige ist zum zweiten Mal aufgefallen. Bei ihm wurde ein erhöhter Hämoglobinwert gemessen - wie auch schon im Jahre 2007. Der Anteil der roten Blutkörperchen war also zu hoch. Im Biathlon liegt der Grenzwert im Männerbereich bei 17,5 Gramm pro 100 Milliliter (Frauen: 16,5). Tscheresow hatte 18,2, dabei haben sich die Biathleten eh einen recht großzügigen Grenzwert gegönnt. Die Skilangläufer dürfen den Wert von 17 (Frauen: 16) nicht überschreiten.
"Die Langläufer wollten auch immer die Biathlonwerte haben, regelrecht gekämpft haben sie dafür", sagt Paul Nowacki, der frühere Anti-Doping-Beauftragte des Deutschen Skiverbandes (DSV). Der Professor im Ruhestand, der nur noch ein bisschen im Sportärzteverband Hessens mitmischt, weiß sehr genau, was es mit den sogenannten Schutzsperren in Ausdauersportarten auf sich hat. Befürchten müssen die Athleten nichts. Sie werden für fünf Tage aus dem Wettkampfgeschehen verbannt, allenfalls wird eine Dopingprobe genommen. "Schutzsperren haben eine Alibifunktion", sagt Nowacki. "Im Grunde ist das eine Farce. Es handelt sich um ein Eingeständnis, dass man relativ machtlos ist." Machtlos gegen Doping. Eine Schutzsperre beweist nichts. Sie kann ein Hinweis auf Blutdoping sein, muss es aber nicht. Auch mit Höhentraining sind laut Nowacki hohe Hämoglobinwerte zu erreichen. Als er noch die deutschen Ruderer betreute, da hatte er selbst die Aufgabe, die Spitzensportler "über 17,5 oder 18 zu bringen". Zwei Wochen Höhentraining hätten da meist schon gereicht, sagt er. "Das kriegt man damit hin."
Früher wäre man mit diesen gepushten Werten im Langlauf oder Biathlon nicht groß aufgefallen. Die Grenzwerte waren vor dem großen Dopingskandal von Lahti laxer. Komischerweise waren auch die Blutwerte höher. Sie näherten sich wie von magischer Hand gesteuert den Limits an, nur Ausrutscher in der sportmedizinischen Betreuung führten dazu, dass beispielsweise der Österreicher Alois Stadlober mit einem Wert von 18,6 gemessen wurde. Aber das dicke Blut lässt sich ganz schnell verdünnen, zum Beispiel "wenn man eimerweise Wasser trinkt wie die Evi Sachenbacher damals", erzählt Nowacki. Sachenbacher lag 2006 bei den Olympischen Spielen in Turin überm Limit. Der Verband argumentierte, die kleine Skilangläuferin sei durch eine genetische Besonderheit Dickblüterin. Weil das Nowacki offenbar anders sah, wurde er vom Verband geschasst. Heute sagt Nowacki: "Die Werte von Sachenbacher waren nur im Winter erhöht, nicht im Sommer, ich weiß das." Gleiches gelte auch für Langläufer Jens Filbrich. Arbeitet also das Dickblut-Gen nur bei Schnee und Eis? Oder wurde doch ein bisschen nachgeholfen? Sachenbacher hat seinerzeit kein Attest für ihre angebliche Anomalie bekommen, Filbrich, sofern er über 1.000 Meter Meereshöhe sportelt, dagegen schon - trotz atemberaubender Hämoglobinschwankungen. Sein Kollege Franz Göring besitzt gleichfalls wegen eines "natürlich erhöhten Hämoglobinwertes" eine Ausnahmegenehmigung.
Der russische Biathlet Tscheresow hat keine Ausnahmegenehmigung, sonst wäre er nicht schon zum zweiten Mal aufgefallen. Offiziell ist er aus gesundheitlichen Gründen aus dem Wettbewerb genommen worden, doch das hält Mediziner Nowacki für Unsinn. "Das mit dem gesundheitlichen Schutz ist an den Haaren herbeigezogen. Der Leistungssportler kann mit seinem großen Herzen auch dickeres Blut transportieren, ohne dass es zu Thrombosen oder Ähnlichem kommt", sagt er. Man verdünne ja ohnehin - mit Vitamin C, viel Flüssigkeit und diversen Plasmaexpandern. "Das ist zum Teil schon grausam, was in der Szene passiert", sagt er. Aus dem Radsport ist bekannt, dass Profis ihre Blutwerte obsessiv steuern und beobachten. Mit Messinstrumenten, den berüchtigten Zentrifugen, bestimmen sie zumeist in Eigenregie den Hämatokritwert, also den Anteil der festen Bestandteile im Blut.
Das hat Iwan Tscheresow offenbar vernachlässigt. Ein größeres Problem für ihn ist das nicht: In Ruhpolding darf er wieder in die Loipe gehen, und mitgekriegt hat es in der Masse der freudetrunkenen Oberhofer Biathlonfreunde auch kaum jemand.
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