piwik no script img

Zwangsneurose und Erregung

■ St. Pauli spielt am Sonntag um 15 Uhr gegen Saarbrücken Von Kai Mierow

Spricht es wieder einmal für die ach so tollen Fans, oder handelt es sich vielmehr um eine Art kollektiver Zwangsneurose? Selbst wenn der FC St. Pauli wieder einmal wie vom anderen Stern spielt – wird Leonardo Manzi auch nur fünf Minuten vor Spielschluß eingewechselt, fangen die Fans zu hyperventilieren an. Dieser kurzzeitige Erregungszustand hat seinen Ursprung, wenn auch nicht im Verstand, so doch im Willen: „Wir fordern unseren Leo und wir kriegen ihn auch.“

Kurz nach dessen Einwechslung dringt dieser – etwas aufgebracht und übermotiviert – in den Strafraum des Gegners oder – je nach Maxime des Trainers – gesellt sich schnurstracks zum Gegenspieler. Anweisung: Weichkochen! Gekommen vom brasilianischen Club FC Santos – also selbstverständlich mit Samba im Blut – sollte Leo für südländisches Temperament und Spielkultur sorgen und mit der dazugehörigen Technik die phantasielosen Norddeutschen beglücken. Jedoch blieb dieser allzu oft hinter den Erwartungen zurück. Den Durchbruch zum Stammspieler hat er nie so richtig hinbekommen – der Kicker, der dem Kiezclub als angeblicher Junioren-Nationalspieler angedreht wurde.

Nun, in der kommenden Serie will der FC St. Pauli auf seinen Leo verzichten. Das heißt: keine „Leoo, Leoo“-Rufe mehr, kein frenetischer Beifall bei einer nicht verstolperten Annahme des Brasilianers. Der vor fünf Jahren für das Toreschießen Geholte wird nach Saisonende ausgemustert. Mit dem 25jährigen muß gleich ein weiterer Spieler gehen: der zu oft verletzte Niclas Weiland, die Leihgabe von Hannover 96.

Eine Maßnahme, die Professionalität demonstrieren soll: Die Vereins-Verantwortlichen nehmen auch nach zuletzt desolaten Leistungen gegen Leipzig und Chemnitz in Gedanken immer noch Kurs Richtung Bundesliga. Tenor: Die Krise ist eigentlich keine und wird alsbald behoben sein. Trotzdem wird erst einmal auf Altbewährtes zurückgegriffen: Mit der Vertragsunterzeichnung von Jürgen Gronau und wahrscheinlich auch von Dieter Schlindwein wird jedoch eher ab-, denn aufgerüstet. Ob beide noch bundesligatauglich sind, ist mehr als fraglich, haben die beiden Oldies doch längst ihren Zenit überschritten. Auch Mittelfeldspieler Holger Stanislavski hat einen Zwei-Jahresvertrag unterschrieben, na ja.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen