: Zwangsarbeiterinnen gegen Siemens
Sieben Frauen aus dem KZ Ravensbrück klagen in einem Musterprozeß / Konzern soll Entschädigung für Sklavenarbeit zahlen / Verfahren wird von „Aktion Sühnezeichen“ finanziert / Morgen Debatte im Bundestag ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Ehemalige Zwangsarbeiterinnen, die im Frauen-KZ Ravensbrück interniert waren und Sklavenarbeit bei der Firma Siemens leisten mußten, erheben jetzt Klage gegen den Konzern. Sie wollen für ihren Zwangseinsatz entschädigt werden. Der Musterprozeß der sieben Frauen wird von der Aktion Sühnezeichen finanziert. Im Vorfeld der morgigen Bundestagsdebatte über die Entschädigung von NS -Zwangsarbeitern erläuterte der Freiburger Rechtsanwalt Jörg Lobach gestern in Bonn Einzelheiten der Klage, die beim Landgericht München eingereicht wird.
Die Firma Siemens errichtete 1942 neben dem KZ Ravensbrück eine Fertigungsstätte. Dort mußten die Zwangsarbeiterinnen auf Grundlage eines Vertrags zwischen der SS und Siemens für den Bau der V2-Rakete schuften. Die Frauen verklagen die Firma jetzt wegen „ungerechtfertigter Bereicherung“ und verlangen den ihnen vorenthaltenen Lohn: pro Kopf rund 64.000 Mark. Außerdem wollen sie vor Gericht Schmerzensgeld durchsetzen, weil sie von Siemens-Aufseherinnen mißhandelt wurden. Zusätzlich fordern sie einen Ausgleich für ihre verminderte Rente.
Würden alle noch lebenden ZwangsarbeiterInnen - das sind rund eine Million Menschen - derartige Forderungen erheben, dann müßten die industriellen Nutznießer des NS-Systems 100 Milliarden Mark an ihre Opfer zahlen, rechnete der Anwalt vor. Bisher wurde den Geknechteten von bundesdeutschen Gerichten und Behörden jegliche Entschädigung vorenthalten. Fortsetzung auf Seite 2
Gegenüber den ausländischen - vor allem polnischen Betroffenen - vertritt die Bundesregierung die Ansicht: deren Forderungen seien Reparationsansprüche der ehemaligen Kriegsgegner, die erst nach der endgültigen Klärung der Reparationsfrage (bei Abschluß eines Friedensvertrags) zu regeln seien. Die Ansprüche inländischer Kläger wiederum wurden vom Bundesgerichtshof als verjährt betrachtet.
Der frühere Versuch einer Gruppe ehemaliger Zwangsarbeiter aus dem KZ Sachsenhausen, von der Firma Heinckel entschädigt zu werden, scheiterte über drei gerichtliche Instanzen - die NS-Opfer mußten noch draufzahlen.
Trotzdem waren VertreterInnen der Aktion Sühnezeichen und der „Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter“ gestern zuversichtlich, daß der Prozeß der Frauen von Ravensbrück eine Chance habe. Die bisherige Rechtssprechung sei unhaltbar; im Fall Siemens liege neues Beweismaterial vor.
In der morgigen Bundestagssitzung werden sowohl Grüne als auch die SPD die Einrichtung einer Stiftung verlangen, aus der alle Zwangsarbeiter eine symbolische einmalige Entschädigung von mindestens 1.000 bzw. 2.000 Mark erhalten sollen. Darüber hinaus fordern die Grünen von der Bundesregierung, mit Polen ein Abkommen zu schließen, das die inviduelle Entschädigung der dort lebenden rund 700.000 früheren ZwangsarbeiterInnen regelt.
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