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Zwangsarbeit

■ betr.: „Lübecks Modell zur Ar beitspflicht“, taz vom 7.10. 97

Der Betriebsrat der gab-GmbH kann den oben genannten Artikel nicht so stehen lassen.

Bei der „gab“ gibt es drei Arten von Arbeitsverhältnissen: 1. Stammkräfte, Bezahlung nach BAT, 2. „Hilfe zur Arbeit“ (HzA)- Beschäftigte, Bezahlung nach Haustarifvertrag mit der ÖTV, 3. sogenannte MV-Vereinbarungen, Bezahlung: Sozialhilfe zuzüglich zwei DM für jede geleistete Arbeitsstunde.

Zu den Beschäftigten nach 2. gibt es als Hauptkritik zu sagen, daß die Gefahr besteht, daß wegen dieses sogenannten dritten Arbeitsmarkts langfristig „Normalarbeitsplätze“ abgebaut werden und dafür diese Billigarbeitskräfte eingestellt werden. Erste Indizien gibt es hierfür bereits aus der laufenden Betriebsratsarbeit.

Bei den Beschäftigten nach 3. sieht es hier auf der ganzen Linie bedrückend aus. Es handelt sich hier um nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigte Sozialhilfeempfänger, denen lediglich Arbeitsmöglichkeiten nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) geschaffen wurden. Es handelt sich hierbei um das alte CDU-Strickmuster der früher noch von Grünen und SPD in Lübeck abgelehnten „Zwangsarbeit“. Durch die Quasikoalition von CDU und SPD in der Lübecker Bürgerschaft wurde ab 1.10. 96 dieses Modell der zwangsweisen Arbeitszuteilung (Arbeit oder keine Sozialhilfe) erst als halbjährliches Modellvorhaben, nun wohl längerfristig, eingeführt. Für diesen Personenkreis gibt es nicht genügend Arbeitsplätze. Die beiden zuständigen Vermittler der „gab“ suchen händeringend nach Plätzen. Der Personenkreis der „Zwangsarbeiter“ (fehlt nur noch die kasernierte Unterbringung) wird auf bestehende, zum Teil nach EU-Richtlinien oder dem Programm „Arbeit für Schleswig-Holstein“ (ASH) geförderte Projekte aufgeteilt und belastet dort die Arbeitsatmosphäre. In den letzten Jahren ist das Verhältnis von Betreuern und Teilnehmern ohnehin schon auf bedenkliche 1:15 angehoben worden und beträgt nun durch die MVer zirka bis 1:20. Die Arbeit von MVern in Projekten verursacht zusätzliche Kosten von mehreren tausend DM jährlich. Es wurde im Verwaltungsbereich mehr Stammpersonaleinsatz erforderlich, das kostet auch Geld. Nur wenige MVer erhalten nach einem halben Jahr eine Einstellung als HzA-Mitarbeiter. Die Mehraufwandszahlungen waren dann für die Katz.

[...] Ganz vergessen wird bei den Zahlenspielereien die nicht nur im Grundgesetz, sondern auch im Bundessozialhilfegesetz verankerte Würde des Menschen. Ist schon der „normale“ Gang zum Sozialamt für die Sozialhilfeempfänger oft demütigend, so wird es das ganze Verfahren um die „Zwangsarbeit“ um so mehr. Keiner fragt, wie viele Antragsteller ihren Antrag nur deshalb nicht weiterverfolgen, weil sie sich in ihrem Stolz und ihrer Würde verletzt fühlen. Bereits in den Jahren vor der Wiedereinführung der „Zwangsarbeit“ haben viele Sozialhilfeberechtigte ihren Anspruch auf Sozialhilfe nicht geltend gemacht, weil es ihnen „peinlich“ war. Auch im Sozialhilfebereich wird jetzt, wie schon vorher im Bereich der Arbeitsverwaltung, Finanzpolitik auf dem Rücken der Ärmsten gemacht. Anstatt das Geld da abzusahnen, wo es sitzt, wird es von den Ohnmächtigen genommen. In der letzten „Panorama“-Sendung wurde berichtet, daß viele Millionäre null DM Steuern im Jahr zahlen. Wo bleibt hier die soziale Gerechtigkeit? Martin Klüver, Betriebsratsvor-

sitzender der „gab“, Lübeck

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