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Zuwanderungspolitik und Asylrecht

■ betr.: "Otto Schily beim Asylrecht auf Abwegen", taz vom 28.9.92

betr.: „Otto Schily beim Asylrecht auf Abwegen“,

taz vom 28.9.92

Euer Bericht über mein Minderheitsvotum im Schlußbericht der „Arbeitsgruppe Zuwanderung“ ist leider irreführend und konstruiert einen Gegensatz zu dem Gutachten des Heidelberger Max-Planck- Instituts, das das Bonner Justizministerium in Auftrag gegeben hat.

Meine Vorschläge in dem Minderheitsvotum widersprechen sich mit den Ergebnissen in dem Heidelbergr Gutachten nicht. In dem Gutachten wird in Übereinstimmung mit mir die Auffassung vertreten, daß die Bundesrepublik in Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention ein faires Verfahren gewährleisten muß, in dem eine individuelle Prüfung des jeweiligen Asylgesuchs stattfindet. Die Ausgestaltung dieses Verfahrens überläßt die Genfer Flüchtlingskonvention auch nach Meinung der Gutachter dem jeweiligen Signatarstaat. Deshalb verstoßen Staaten wie beispielsweise Frankreich und die Schweiz, die weder ein individuelles Grundrecht auf Asyl noch eine damit verbundene Rechtsweggarantie kennen, nicht gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.

Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr mein Minderheitenvotum etwas genauer lesen könntet. Der sogenannte ordentliche Rechtsweg soll nur in dem vorgeschalteten Zulassungsverfahren wegfallen. Wird die Zulassung zum Asylverfahren abgelehnt, entscheidet auf Beschwerde der Asylbewerberinnen oder -bewerber ein Beschwerdeausschuß, dem ein Mitglied mit Befähigung zum Richteramt angehören muß. Bei zugelassenen Asylgesuchen soll es bei dem bisherigen Rechtsweg bleiben.

Das Zulassungsverfahren ist deshalb sinnvoll, weil die negative Entscheidung, daß ein Asylantrag aus — meist verständlichen — wirtschaftlichen oder sozialen Beweggründen und nicht aufgrund politischer Verfolgung gestellt wird, in der überwiegenden Zahl der Fälle einfach und rasch möglich ist. Zu den Aufgaben einer/s unabhängigen Flüchtlingsbeauftragten gehörte es, darüber zu wachen, daß in den Zulassungsverfahren kein Asylgesuch zu Unrecht zurückgewiesen wird.

Das Zulassungsverfahren ist ein individuelles Prüfungsverfahren, das die Anforderungen der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt. In dem Zulassungsverfahren könnten deshalb z.B. Länderlisten — wie es heute schon de facto geschieht — allenfalls im Sinne einer widerlegbaren Vermutung herangezogen werden.

In Eurem Bericht erwähnt Ihr zwar meinen Vorschlag, eine/n unabhängige/n Flüchtlingsbeauftragte/n einzusetzen, verschweigt aber, daß dieser Vorschlag nur dann in seiner Bedeutung erkannt wird, wenn darauf hingewiesen wird, mit welchen — verfassungsrechtlich abzusichernden — Rechten die/ der Flüchtlingsbeauftragte ausgestattet werden soll. Die Installierung einer/s solchen Flüchtlingsbeauftragten, verbunden mit einer verfassungsrechtlichen Garantie des Asyls, würde die politisch Verfolgten und Flüchtlinge sehr viel wirksamer schützen, als es das schrankenlose Grundrecht und die damit unvermeidliche Massenabfertigung bei den Behörden und Gerichten zu leisten vermögen.

Im übrigen solltet Ihr bedenken, daß die Vorschläge in meinem Minderheitenvotum als Teil eines Gesamtkonzepts zu verstehen sind, in dem die verfassungsrechtlichen Streitfragen nur einen Teilaspekt bilden. Auf meine Anregung hat die Arbeitsgruppe Zuwanderung in ihren Schlußbericht die Empfehlung aufgenommen, die Abwehrhaltung gegenüber Zuwanderung zu überwinden und Zuwanderungspolitik als zivilisatorische und kulturelle Aufgabe zu begreifen.

Es gibt durchaus beachtliche Gründe, den Art. 16 des Grundgesetzes unverändert zu lassen. Die Verfechter des uneingeschränkten Individualgrundrechts inklusive Rechtsweg wissen aber keine Antwort auf die Frage, wie sie dem Faktum begegnen wollen, daß die Schrankenlosigkeit des Individualgrundrechtes sich zum Nachteil von politisch Verfolgten auswirkt. Es scheint paradox, ist aber die bittere Wirklichkeit, daß die geltende Verfassungslage die Zulassung aller Asylanträge in die Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erzwingt, aber damit zugleich das Risiko erheblich erhöht, daß begründete Asylgesuche nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geprüft werden können und zu Unrecht abgelehnt werden. Es muß doch zu denken geben, daß Deutschland relativ niedrige Anerkennungsquoten aufzuweisen hat, aber zugleich aufgrund seiner Verfassungslage genötigt ist, Zuwanderern in großer Zahl für längere Dauer Aufenthalt, Unterkunft und Sozialhilfe zu gewähren, die keine Asylgründe geltend machen können. Um es auf eine knappe Formel zu bringen: Die Schrankenlosigkeit von Art. 16 GG schadet den politisch Verfolgten und Flüchtlingen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention ein Bleiberecht haben, und schützt das Interesse von Armuts- und Wirtschaftsflüchtlingen, die sich in Deutschland bessere Lebensbedingungen erhoffen.

Wer im Rahmen eines Gesamtkonzepts für die Zuwanderungspolitik dafür sorgen will, daß über die unterschiedlichen Zuwanderungsgründe und Aufenthaltszwecke der Menschen, die zu uns kommen, in jeweils angemessener Weise entschieden wird, darf sich daher einer gründlichen Prüfung, welche Verfassungsnorm diesen Zielen am ehesten gerecht wird, nicht verschließen. [...] Otto Schily, MdB, Bonn

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