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■ Wir lassen glotzenZutiefst amerikanisch

Die Zuschauer zeigen mit dem Daumen nach unten, aber wir sind nicht in einem Historienschinken, sondern im 20. Jahrhundert beim Wrestling. Die Zeit mag vergehen, die Menschen scheinen sich nicht zu ändern. Spektakel um jeden Preis, auch den der Lächerlichkeit. Der zunehmende Erfolg des inszenierten Catchens bringt auch in Europa das Geschäft ins rollen. Comics über die Helden, die schon in Realität wie Comicfiguren agieren, Plastikpuppen mit aufziehbarem Schlagarm für die lieben Kleinen und natürlich Videos.

Hulk Hogan, dem immer schütterer werdenden Liebling der Kinder, ist gleich eine ganze eigene Produktion gewidmet, auf der er ein halbes Dutzend Mal sein T-Shirt zerreißen, den Gegner durch den Ring werfen und anschließend mit dem Publikum kommunizieren darf. Ansonsten werden verschiedene Kämpfe gemischt, verbunden durch Quizfragen oder die üblichen Beschimpfungen, die als Interviews getarnt sind. Im Video-Marathon werden die Mechanismen noch deutlicher. Die Kostümierungen der Kolosse wechseln, aber die Inszenierung ändert sich nur unwesentlich. Der Gute und der Böse sind klar zu erkennen, in jedem Kampf wird die Rückkehr des längst vernichtend Geschlagenen zelebriert, oft gleich mehrmals. Man kann es schaffen, wenn man nur intensiv genug will, lautet – zutiefst amerikanisch – die Botschaft.

Der Böse benutzt unsaubere Tricks, die vom Schiedsrichter nicht geahndet werden, und zwingt den Guten, ebenso unfair zu catchen. Der Zweck heiligt die Mittel, das ist amerikanischer Pragmatismus. Noch amerikanischer ist nur noch die Show, die Reduzierung des Spektakels auf das Nötigste: Wer am Schluß am Boden liegt, hat verloren, Regeln sind was für Langweiler. Wrestling ist viel amerikanischer als Baseball oder Football, weil es das Bedürfnis nach einer einfach gebauten Welt mit Siegern und Verlierern, Guten und Bösen, Schwarz und Weiß noch platter befriedigt, als es Sport überhaupt schon tut.

„Mach aus, wenn das Kind reinkommt!“, sagte meine Lebensabschnittsbegleiterin bei Begutachtung der Catch-Videos. Und sie hat recht, es ist zu gefährlich. Unsere vierjährige Tochter hätte sich womöglich totgelacht. Thomas Winkler

„The Immortal Hulk Hogan“, „Rampage 92“, „Royal Rumble 92“, „Summer Slam“. Alle OF, alle über Public Propaganda.

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