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INTERVIEWZustände wie bei der Mafia

■ Der Kölner Soziologe und CDUler Erwin K. Scheuch fertigte eine kritische Studie über die Politszene an, die seiner Partei überhaupt nicht paßt

taz: Herr Prof. Scheuch, Sie haben in einer aktuellen Untersuchung gezeigt, wie weit das Kölner „Klüngel“-System inzwischen gediehen ist. Innerparteiliche Seilschaften und Cliquen beherrschen die Politik. Ist die Politszene nicht schon auf dem Weg zu mafiosen Strukturen?

Erwin K. Scheuch: Ich will im Augenblick keine Etiketten vergeben, aber das Grundprinzip, nach dem die Mafia funktioniert, ist hier auch zu erkennen. Man bezieht viele Menschen in den Klüngel ein. Natürlich gibt es in einer Stadt wie Köln nicht allzu viele große Preise. Die ganz großen Belohnungen beschränken sich hier vielleicht auf acht bis zwölf städtische Berufspolitiker, aber für die anderen greift ein System der abgestuften Belohnungen. Das geht bis hin zu solch Lächerlichkeiten wie freien Zoo- oder Opernkarten. Dieses System der abgestuften Belohnungen, das ja auch für die Mafia charakteristisch ist, umfaßt in Köln vielleicht 200 Leute.

Zur direkten Belohnung kommt als zweite wesentliche Stütze des Klüngel-Systems die Politisierung sämtlicher Strukturen hinzu. Dadurch werden ganze Berufsgruppen gezwungen, sich einer dieser Cliquen anzuschließen. Nur so finden sie Zugang zu Jobs oder Aufträgen. Sie kommen in unseren Städten zum Beispiel ohne Förderung durch Parteien nicht mehr über den Studienrat hinaus.

Im Ruhrgebiet geht nichts ohne die SPD, in Bayern empfiehlt sich die CSU, und in der Stadt Bonn führt der Weg nach oben über die CDU?

Nein, das ist nicht ganz richtig. Im Ruhrgebiet war es natürlich sinnvoll, bei der SPD mitzumachen, aber die CDU bekam immer sehr begehrte Trostpreise. Wenn die CDU völlig außen vor gelassen worden wäre, hätte sie ja Opposition machen können. Für die Mehrheitspartei ist die personelle Einbindung der formalen Opposition doch viel praktischer.

Sie haben für die Stadt Köln sehr anschaulich beschrieben, wie sich die politischen Cliquen der CDU und der SPD die Verteilung von Jobs und Aufträgen gegenseitig schriftlich versichern. Steht am Ende eine Politik ohne Opposition und Kontrolle?

Ja sicher. Es geht bei dem Klüngel-System ja nicht um die sachlich gerechtfertigte und in vielen Fällen unumgängliche Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg — dagegen ist ja nichts zu sagen —, sondern hier machen Cliquen Politik, die den Handlungsspielraum der örtlichen Parlamente noch weiter einschränken. In Köln schließen die führenden Persönlichkeiten zu Beginn der neuen Stadtratperiode regelrechte Verträge. Selbst die PS-Stärken für die Dienstwagen der Dezernenten werden abgesprochen.

Funktionieren kann das System ja nur, weil die Beteiligten sich quasi immer wieder selbst nominieren. Sehen Sie noch Möglichkeiten, diese Strukturen aufzubrechen?

Ich bin an dieses Thema rangegangen, um zu untersuchen, wie wir unsere Führungskader in der Politik rekrutieren. Die inzwischen übliche Art der Vorteilsnahme jenseits oder am Rande der Legalität erfordert, daß man zusammenhält. Wer nach vorne will, muß im Sinne der herrschenden Clique vertrauenswürdig sein — sonst funktioniert das System nicht. Wer nicht kooptiert, also quasi berufen wird, muß schon als Verhandlungsmasse selbst eine Leiche einbringen. Wer keine Leiche beibringt und das System herausfordert, wird gnadenlos weggebissen.

Die Partei-Politisierung der Verwaltung funktioniert bis sehr weit nach unten, bis zur Referatsebene, bis zum einfachen Referenten. Mich interessiert der Grad der Entmutigung in solchen Einrichtungen, in denen Parteien und nicht die Leistungen der Mitarbeiter über Beförderungen bestimmen. Wie entmutigend muß das für einen Angestellten der Stadtsparkasse oder der Verkehrsbetriebe sein, zu sehen, daß oben um 300.000-Mark-Posten gekungelt wird, für einen Mann, der nichts anderes vorzuweisen hat, als treuer Parteisoldat gewesen zu sein.

Wie kann man das ändern? Da muß man sich ansehen, warum die Cliquen nicht längst abgewählt sind. Die CDU in Köln hat immer noch fast 8.000 Mitglieder, die SPD weit über 10.000. Am Kungeln beteiligt sind vielleicht 200. Die daraus folgende naheliegende Idee läuft darauf hinaus, den Mitgliedern, insbesondere bei der Auswahl der Kandidaten, mehr Einfluß zu verschaffen und damit andere Mehrheiten möglich zu machen. Durch die Abschaffung des Delegiertensystems zugunsten der Urwahl der Kandidaten durch alle Mitglieder und durch die Beschränkung der Mandatsdauer im Rat — alles sehr grüne Vorschläge —, könnte das Ziel erreicht werden. Ich kenne sehr viele motivierte, wirklich gute Leute, die sich politisch in der CDU engagieren würden, wenn es in dem Milieu nicht so häßlich zuginge.

Sie selbst haben in Ihrer Untersuchung geschildert, mit welchen Methoden der frühere CDU-Fraktionschef Gerhard Meyer zum Mandatsverzicht genötigt werden sollte. Nachdem Meyer auf dem Kreisparteitag seinen Fall dargelegt hatte, votierte lediglich ein Drittel der Delegierten für Meyer.

Weil der Klüngel bei den Delegierten die Mehrheit hat. Das gibt es natürlich nicht nur auf Ortsebene. Auch Bundeskanzler Kohl ist ja ein Oberklüngelant. Der beherrscht das ja meisterhaft. Die Ministerien versucht Kohl zum Beispiel über die von ihm inflationierten Staatssekretäre zu kontrollieren. Blüm kriegt dann den Aufpasser Worms an die Seite, Stoltenberg den Hennig.

Sie hauen mit Ihrer Studie ja insbesondere auf die Strukturen Ihrer eigenen Partei ein. Haben sich die „Parteifreunde“ schon gemeldet?

Zunächst fiel die Reaktion völlig geräuschlos aus. Man hat zwischen Weihnachten und dem 15.Januar erst einmal hinter den Kulissen versucht, die Studie zu unterdrücken. Der Parteivorsitzende in Köln, Axel Rodert, verlangte hinter dem Rücken der Autoren von dem Vorsitzenden der CDU-Wirtschaftsvereinigung, daß die Studie zurückgezogen werden müsse. Schließlich wurde ein Brief an den Vorsitzenden der Wirtschaftsvereinigung, Peter Jungen, formuliert, in dem Rodert schrieb: „Ich nehme Bezug auf das soeben mit Ihnen geführte Telefongespräch und habe zur Kenntnis genommen, daß es sich bei der Dokumentation um ein Manuskript handelt, das versehentlich ohne eingehende Prüfung zum Druck gegeben wurde... und die Auslieferung der Dokumentation gestoppt wird.“ Kopien dieses Briefes bekam ein Journalist zu Gesicht, der darüber eine Geschichte im 'Kölner Stadtanzeiger‘ schrieb. Ich erfuhr erst durch diese Veröffentlichung, daß von der Partei gegen die Studie Einwände erhoben wurden. Ohne diese Publizität wäre hinter meinem Rücken die von der Vereinigung in Auftrag gegebene und verabschiedete Untersuchung unterdrückt worden. Das genau ist die normale Form, wie man Kritik parteiintern erledigt. Das war der Versuch, ein Papier, das den Klüngel anklagt, auf klüngelnde Weise tot zu machen.

Auch die Kölner Bauverwaltung hat sich bei Ihnen inzwischen gemeldet...

Ja. Wir haben vor etwa neun Monaten einen Bauantrag gestellt. Darauf ist, wie in Köln üblich, nichts erfolgt. Wir hatten unter anderem den Bau eines Wintergartens beantragt. Wir ließen am Haus eine Platte gießen, die man ebenso als Boden des Wintergartens nutzen kann wie als Terasse. Nach der Veröffentlichung der Studie — der Wintergarten war überhaupt noch nicht in Auftrag gegeben — erhielten wir schon eine Abbruchverfügung und die Androhung einer Geldstrafe. Seitdem haben wir jede Woche einen Bauaufsichtsbeamten im Hause. Sehen Sie, schon das Wort „Klüngel“, das ja so etwas wie Gemütlichkeit suggeriert, trifft die Sache überhaupt nicht. Das Problem, das mit „Klüngel“ beschrieben wird, ist viel zu ernst, denn wer sich widersetzt, wird gnadenlos belästigt oder bestraft. Gefallene Engel, also diejenigen, die ganz vorne mitgemischt haben, trifft es — wenn sie in Ungnade gefallen sind — besonders hart. Deren materielle Existenz wird regelrecht vernichtet. Dafür gibt es in Köln einige Beispiele. Interview: Walter Jakobs

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