■ Westberlin erhält Ostförderung: Zurück zur Zukunft
Die Furcht vieler Westberliner vor der langsamen Verostung ihrer Stadt ist seit gestern keine bloße Angelegenheit für empfindsame Gemüter, sondern Teil der offiziellen Politik. Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt besiegelt die Einbeziehung der einst mit Bundesgeldern verwöhnten Hälfte Berlins in die sogenannte Ostförderung. Westberlin wird nun so behandelt, als sei es – wie die fünf neuen Länder – erst im Verlaufe des Jahres 1990 auferstanden aus Ruinen.
Entlarvt wird mit diesem Schritt die hausgemachte Westberliner Selbsttäuschung, die erst nach dem Fall der Mauer langsam der Erkenntnis wich, weniger eine Metropole westdeutschen Zuschnitts zu sein als eine hochsubventionierte Propagandakulisse des Kalten Krieges. Mit der zugegebenermaßen zu schnellen Streichung der Berlinförderung wurde in manchen Zweigen – etwa in der Textil- oder der Maschinenbaubranche – ein bis heute anhaltender Prozeß der Arbeitsplatzvernichtung eingeleitet.
Für die Westberliner Klasse in Politik und Wirtschaft muß der Beschluß wie ein Offenbarungseid klingen. Trotz großer Worte vom Umbau in eine Dienstleistungsmetropole und der Hoffnung auf den Umzug wird (West-)Berlin nun wieder dort angeschlossen, wo es einst zu Mauerzeiten hing: am Tropf der Bonner Republik. Die Rückkehr zu alten Zuständen zeigt der westlichen Hälfte, die einst als prosperierendes Vorbild dem Osten verkauft wurde, die Grenzen der ökonomischen Basis, auf der die neue Stadt gebaut werden soll. Ohne Staatssubventionen wird dies wohl für eine längere Zeit nicht gehen. Die beiden Hälften sind sich seit gestern nähergekommen. Vom östlichen Pendant unterscheidet sich Westberlin in vielen Bereichen nur noch durch die schönere Art der Verpackung. Dahinter aber kommt diesselbe Misere zum Vorschein: Bettler in eigener Sache zu sein. Severin Weiland
Siehe auch Seite 22
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