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■ Zur Globalisierung der industriellen ChemieproduktionHilfsargument Ökodumping

Die Globalisierung der industriellen Produktion hat inzwischen fast jede Branche erreicht. Längst herrscht Einverständnis darüber, daß eine Globalvernetzung nötig ist, um die verschiedensten Standortvorteile miteinander zu kombinieren. Deshalb fallen die Proteste gegen die Produktionsverlagerungen mitsamt den Arbeitsplatzverlusten in Deutschland so schwach aus: Wenn die Vorprodukte nicht billiger werden, sind auch die hohen Wertschöpfungsstufen in den deutschen Produktionsanteilen unhaltbar. Zudem läßt sich wenig dagegen einwenden, daß den Produkten aus einer Exportnation irgendwann einmal auch die Produktion in die Absatzmärkte nachfolgt.

Die chemische Industrie stellt die große Ausnahme dar. Weil einem Konzern Personalabbau nicht mehr per se vorgeworfen werden kann, muß ein Hilfsargument her: das Ökodumping. Damit kritisierte einst die Dritte-Welt-Solibewegung zu Recht die Chemieinvestitionen etwa in Lateinamerika. Heute mobilisieren clevere Industriepolitiker zu Unrecht das Ressentiment von der ökonomischen wie ökologischen Bedrohung durch das Ausland, vor allem durch den ehemaligen Ostblock – um die Ostgrenze zu schließen.

Wortführer Oskar Lafontaine scheint sich sogar den ehemaligen Ostblock am liebsten deindustrialisiert zu wünschen, damit er keine deutschen Arbeitsplätze gefährdet. Bedrohte Beschäftigte und Wähler mögen solche Kurzsichtigkeiten honorieren. Ökologisches Kriterium kann nur sein, die Chemieinvestitionen im Osten möglichst schnell umweltverträglich zu machen, nicht jedoch sie zu verhindern.

Globalisierung heißt allerdings nicht, das Standortgezeter für bare Münze zu nehmen oder der Industrie die Verantwortung für die Folgen abzunehmen. Wo Investoren die gekauften Anlagen nur auf Verschleiß fahren, sich dubioser Produktionsweisen bedienen oder die neuen Belegschaften über den Tisch ziehen, muß interveniert werden. Längst haben die Konkurrenz auf dem Weltmarkt und die Sensibilität der Bevölkerung in den Heimatländern dazu geführt, daß die großen Konzerne (um die es bei den Standortverlagerungen meist geht) den Skandal ebenso fürchten wie die Aktionäre den Dividendenausfall. Das ist vielleicht die segensreichste Folge der Globalisierung: Zumindest für die deutschen Konzerne zahlt sich Ökodumping nicht mehr aus. Dietmar Bartz

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