■ Zur Einkehr: Bei McDonald's
Was tun Menschen in der Regel, die erwischt werden bei der Lektüre von Hölderlins „Brot und Wein“oder bei der Teilnahme an einer Tibetaktionswoche? Wie nebenbei werfen sie ins Gespräch ein: „Aber die Chicken-McNuggets waren heute wieder fein.“Den modrigen Geruch von PC, Ernsthaftigkeit oder intellektuellem Interesse kann man nur mit drastischen Mitteln begegnen: Ich gehe zu McDonalds, das heißt ich bin so quicklebendig und modern wie ein quäkender Ghettoblaster. Kein Wort sollte man diesen Aufschneidern glauben. Mit gezielten Fangfragen muß die Redlichkeit ihrer Aussagen überprüft werden: Ist das House Dressing für den Chefsalat lachsrosa oder türkis? Und spätestens bei der Datierungsfrage klärt sich die Kennerschaft: Leben wir in einer Huhn-, Mexico- oder Asienwoche?
Unter den Scheinliebhabern von McD gibt es hochkarätige Leute. Andy Warhol war so einer. Berühmt sein kleines Hongkong-Witzchen: Was er an der Stadt am meisten liebe? Daß sie eine McD-Filiale habe, und man dasselbe essen kann wie in New York. Welche Ignoranz. Weiß doch jeder McD-Freak, daß es auf die kleinen Differenzen ankommt – wie bei den Themenverarbeitungen bei Mozart. Die Pommes sind mal mehr, mal weniger gesalzen. Die kleine Fleischflade liegt mal mittig, mal hängt sie auf einer Seite über. Letzteres hat regelmäßig schwere Entscheidungskonflikte zu Folge: Schlemme ich erst an dem kargen oder dem fleischigen Teil des Klops. Letztlich eine philosophische Frage. Es geht um Sofortbefriedigung oder Triebaufschub, Tier oder Mensch.
Die mittelalterliche Scholastik diskutierte Grundfragen des Lebens anhand der Frage, wieviel Engel auf einer Nadelspitze Platz hätten. Heute ist es die Gürkchenfrage, in der sich wesentliche Probleme der Zeit quasi bündeln. Die Überlegung lautet: Gürkchen akzeptieren oder Gürkchen entfernen, was nichts anderes bedeutet, als einen künstlichen Eingriff in die naturhafte Gewachsenheit des Bürgers oder Burgers. Welche Auswirkungen für die Gentechnologie. Einfacher gesagt: Gürkchenentferner sind Arschlöcher. Empirische Studien bestätigen dies immer wieder. Der normale McD-Besucher hingegen ist gut. Alles Getue ums Essen ist ihm fremd. Kein Hegelsches Herr-Knecht-Verhältnis zwischen Bedienung und Gast, keine spitzen Finger um zierliche Gläserhälse, kein virtuoses Bugsieren von Erbsen auf Silbergabeln. Während er sein Gebiß in den Burger rammt und das Ketchup die Mundwinkel langsam herabrinnt, denkt er nach über Hölderlin und die Tibetwoche. Also doch. bk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen