Zur Bundestagswahl 2009: Internationale Pressestimmen
Wie sehen die anderen den Sieg von Schwarz-Gelb? Stimmen aus "The Times", "ABC", "Le Libération" und "Hürriyet".
The Times (London): Am Sonntagabend unterbrach das Staatsfernsehen die Stimmenauszählung, um die "Lindenstraße" zu senden. So mögen die Deutschen ihre Politik. Sie haben außerordentliche Veränderungen erlebt, aber sie brauchen sie in kleinen Dosen. Frau Merkel, die die Kunst, ausführlich über Kartoffeln zu sprechen, versteht, hat diesen Puls gefühlt. Aber jetzt muss sie Unbeliebtheit riskieren. Als bei ihrer letzten Wahlkundgebung die Nationalhymne erklang, sah es so aus, als habe sie Tränen in den Augen, so als sei ihr aufgegangen, was vor ihr liegt. Vielleicht war es aber auch nur ein Staubkorn.
ABC (Madrid): Mit diesem Ergebnis und dem als sicher geltenden Sieg der britischen Konservativen festigt sich die Tendenz hin zu den Parteien des Mitte-rechts-Spektrums in den wichtigsten Ländern der EU. Damit ist erstmals inmitten einer globalen Krise die Strömung die stärkste, die es schafft, dass Europas Bürger den liberalen und konservativen Lösungsansätzen vertrauen statt den überholten sozialdemokratischen Rezepten.
Le Libération (Paris): Die deutsche Sozialdemokratie hat sich nicht erneuern können, und ihre Männer sind durch eine allzu lange Anpassung an die Ordnung der Dinge verbraucht. Zudem sind die kritische und die regierende Linke unfähig gewesen, miteinander in Dialog zu treten, bis zu dem Punkt, dass, selbst wenn die SPD mit Linken und Grünen eine Mehrheit erzielt hätte, sie mangels Verständigung regierungsunfähig gewesen wäre. Mangel an Mut, Verschleiß im Regierungsgeschäft, gegenseitige Beschimpfungen: Für die Linke in Frankreich und in Deutschland ist der Rhein keine Grenze mehr.
Hürriyet (Istanbul): In der großen Koalition verhinderte die SPD, dass Kanzlerin Merkel ihre Opposition zur EU-Mitgliedschaft der Türkei noch lauter verkündete. Jetzt fällt diese Bremse zwar weg, aber auch die Liberalen sind nicht explizit gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Westerwelle als Außenminister könnte, mit dem Türkeifreund Genscher im Rücken, einen vernünftigeren Kurs fahren und die Annäherung vorantreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!