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■ Zum zweiten Jahrestag des Aufstands in ChiapasYa basta! ...

Marcos ist out. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest im Mexiko der städtischen ZeitungsleserInnen, der Krisengeschädigten und Frustrierten. Bedauernd werden Achseln gezuckt: Marcos habe seine „Chance verspielt“. Er hätte die Kapuze abnehmen und den Politikern Konkurrenz machen sollen. Und manch bewegter Akademiker moniert die „Absurdität“ eines Guerilleros ohne guerra, ohne Krieg. Zwar sind die Belange „unserer Indios“ mittlerweile zum rhetorischen Bestandteil jeder Politiker-Rede geworden. Das realexistierende Chiapas und seine Revolte, die für die caudillo-bedürftigen MexikanerInnen in der Gestalt des Subcomandante Marcos verkörpert war, scheint aber wieder in weite Ferne gerückt.

Die Zapatistenguerilla EZLN hat aufgehört, ein Medienereignis zu sein. Schon seit längerem sind die Maskierten aus dem Südosten von den Titelblättern und Schlagzeilen verschwunden. Statt dessen kümmert sich die veröffentlichte Meinung um Wirtschaftskrise und Drogenfilz, um den rasanten Aufstieg der rechten PAN-Partei und vor allem um die skandalösen Machenschaften des Salinas-Clans. Daß es die Zapatisten waren, die als erste den Kopf des einstigen Modernisierungshelden gefordert hatten – damals von vielen als „wahnhafte“ Forderung belächelt – erinnert heute kaum noch jemand. Die kühne zapatistische Rede von Carlos Salinas als „Vaterlandsverräter“ ist längst zum Allgemeinplatz geworden.

Die Wucht der Enttäuschung entspricht wohl dem Erwartungsdruck. Nicht wenige hatten insgeheim auf eine Art Messias gewartet, der aus der allgemeinen Lähmung, der erstickenden Hegemonie der Regierungspartei PRI erlösen sollte. „Endlich“, hieß es damals allerorten, bis in die unpolitischsten Kreise hinein, „endlich zeigt es denen jemand!“ Das Ya basta der Zapatisten wurde schnell zum Joker für alle, die sich ausgeschlossen fühlen vom großen Spiel der „exklusiven Modernität“ (Carlos Fuentes), das unter Salinas via Nafta und OECD-Beitritt noch perfektioniert worden war.

Doch die Erlöserrolle hat die EZLN nie spielen wollen. Sie versteht sich ausdrücklich nicht als Avantgarde, eher schon als eine Art politisches Aufputschmittel. Schon kurz nach dem Aufstand haben die EZLN-Comandantes gesagt und seither wiederholt: „Jetzt ist es an euch!“ Gemeint war – und ist – die vielbeschworene sociedad civil, jene Teile der zivilen Gesellschaft, die sich langsam zu regen beginnen. Unabhängige Gewerkschaften und oppositionelle Unternehmerverbände, organisierte Bankschuldner und politisierte StudentInnen, Campesino-Organisationen, Feministinnen und besonders der weitverzweigte indianische Widerstand. Viele dieser Gruppen waren schon vor dem Neozapatismus in Bewegung – und doch, trotz aller Ernüchterung, ist die EZLN seit ihrem spektakulären Coming-out zur obligatorischen Referenz aller Politik geworden, eine Art moralische Meßlatte für politisches Handeln.

Dieser Respekt, der den Zapatisten von Fans und Feinden gleichermaßen entgegengebracht wird, hat vor allem mit zwei Verdiensten zu tun, die sie von bisherigen Widerstandskulturen unterscheiden: Zwei Jahre lang haben die Aufständischen unter widrigsten Umständen den – sanften bis mörderischen – Umarmungsversuchen eines Systems widerstanden, das bislang noch jede Art von Opposition unschädlich gemacht hatte. Und sie haben die scheinbar allmächtige Krake da angegriffen, wo diese am verwundbarsten ist und die MexikanerInnen am empfänglichsten sind: beim patriotischen Diskurs, der republikanischen Symbolik und den revolutionären Versprechen. Die Zapatistenguerilla hat der PRI das Definitionsmonopol auf „la patria“ entrissen. Sie nimmt den postrevolutionären Herrschaftsdiskurs von Gerechtigkeit, Solidarität und Unabhängigkeit „beim Wort“ – und entlarvt ihn damit effektiver als jede abstrakte Rede von Sozialismus und Klassenkampf.

Daß sie den Streit ums revolutionäre Erbe und eine „neue Moderne“ in aller Öffentlichkeit austragen, macht die mediengewandten Guerilleros zudem zu Pionieren einer neuen politischen Kultur. Soviel Öffentlichkeit war überhaupt noch nie in Mexiko, soviel Debatte und eine solche Lust an Einmischung – auch wenn die Guerilla selbst darin kaum noch vorkommt. So wirkt die EZLN nicht nur als Sargnagel im Totenschrein einer anachronistischen Parteiendiktatur, sondern darüber hinaus auch als Kampfansage an „die PRI in den Köpfen“: die fatalistische No-choice-Haltung vieler MexikanerInnen, die sich in der Rolle des ewigen Publikums beim Polittheater der Mächtigen sehen. Seit dem überraschenden Auftritt der Zapatisten interessieren sich schon ein paar mehr Zuschauer für das Geschehen vor und hinter den Kulissen. Daß es derzeit – zumindest parteipolitisch – eher die wohlorganisierte Rechte als die zerfledderte Linke ist, die den erweiterten Bühnenraum zu nutzen versteht, ist allerdings eine bittere Ironie der Geschichte.

Aber es gibt auch interessante Nebenschauplätze. Ein Beispiel ist der vergleichsweise unspektakuläre Dialog, der gegenwärtig im Schatten der medialen Spotlights in Chiapas stattfindet. Was von oben formal als „regionale Verhandlung“ zwischen EZLN und Regierung deklariert wird, ist in Wirklichkeit ein neuartiger Verständigungsversuch der landesweiten Opposition. Zwar gibt es mit den Regierungsgesandten herzlich wenig zu „verhandeln“, von den Beteiligten aber wurde das kollektive Brainstorming, bei dem es erstmals auch um konzeptionelle Strategien ging, als eines der „fruchtbarsten Widerstands-Treffen“ seit langer Zeit bezeichnet. So mündet der symbolische Gestus des Ya basta, auf den die EZLN lange reduziert worden ist, heute endlich in politische Offensiven ein. Sie muß nicht länger als das schlechte Gewissen der Nation im allgemeinen – und der Linken im besonderen – herhalten, sondern kann zu dem werden, was sie schon immer zu sein beanspruchte: eine Akteurin unter vielen anderen.

Die zapatistische Revolution hat ihre Kinder nicht gefressen. Aber noch ist es eine schlummernde, „latente Revolution“, wie ein Freund kürzlich treffend bemerkte. Denn der alte revolutionäre Schlachtruf „Land und Freiheit“ heißt in die mexikanische Gegenwart übertragen vor allem: radikale Demokratie. Und die radikaldemokratische Zapatistenarmee hat in den letzten zwei Jahren viel dazu beigetragen, die tieferen Bedeutungen dieser Losung auszuloten: gegen Kazikentum und Paternalismus, für Selbstbestimmung, für das Recht auf Anderssein und auf ein Leben in Würde. Aber Demokratie ist bekanntlich kein Zustand, sondern ein Prozeß. Und der hat in Mexiko gerade erst angefangen. Anne Huffschmid

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